Seine Livekonzerte sind Legende - das zeigte Springsteen nun auch wieder in Wien.
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Sie sind so ausführlich und energetisch, dass Springsteen in der Pause, das erzählte man sich gern, ein Steak verspeiste. Auch mit bald 74 Jahren hat Springsteen mit seiner E-Street-Band live kaum Konkurrenz: Seine Konzerte sind eine Klasse für sich.
Auch, weil seine Hits sich hervorragend dafür einigen - was manchmal die Rezeption durchaus negativ beeinflusste: Allgemein bekannt ist die veheerende Fehlinterpretation von "Born in the U.S.A.", in dem es ziemlich genau um das Gegenteil jener patriotischen Schwellung geht, die seither aus dem Song herausgelesen wird.
Aber auch sonst ist die oftmals muskulöse Eingängigkeit hier ein Vehikel, um leise, oftmals überaus zarte Bilder von der Unterseite der USA zu zeichnen, etwa in "Darkness On The Edge Of Town".
Springsteens Lebensbilder aus dem Rust Belt, aus den Gegenden der USA, in denen die Fabriken zusperrten, junge Männer arbeits- und zukunftslos waren, in denen Träume und Realitäten zunehmend auseinanderklaffen, erhalten heute wieder neue Aktualität - auch das wohl, neben der Nostalgie und der musikalischen Qualität, ein Grund, warum Springsteens Ruhm und Anziehungskraft ungebrochen ist.
Längst hat man Springsteen - am 23. September 1949 in eine italienisch-irische, streng katholische Arbeiterfamilie - die anzugtragenden Zwischenjahre der Introspektion, wo es allzuviel um die Schmerzpunkte des reichen Mannes mittleren Alters ging, verziehen; mit Alben wie "Nebraska" und "The Ghost of Tom Joad" hat er zwischendurch viel für die klassische amerikanische Folkmusik geleistet, aus der der New-Jersey-Bub einst (auch) gekommen ist.
Kampf um die Unterschicht
Zuletzt aber kehrte er zur ursprünglichen Hemdsärmeligkeit zurück - auch, weil die amerikanischer Unterschicht verloren zu gehen drohte: Springsteen, längst nicht mehr in den Lebensumständen eines klassischen Linken, kritisierte Trump und die Republikaner wiederholt scharf, und richtete so einen Scheinwerfer auch auf einen unterbelichteten Aspekt seines Frühwerkes: Seine Underdogs, seine Außenseiter und Ausgestoßenen sind gefallen, aber nur bis zu einem Punkt: Die Moral, die Solidarität, die letzten Grenzen des Anstands waren für sie umso wichtiger, wenn sie sonst nichts mehr hatten. Das scheint heute schon viel.
Die Realität ist Springsteen im Nach-9/11-Amerika, nach der Bankenkrise 2008, im Abschwung der Demokraten und in den Trumpjahren entgegen gekommen. „Ich bin der Präsident - aber er ist der Boss“, sagte Barack Obama 2009 bei einer Ehrung für seinen Freund Bruce und dessen „Lieder von Träumen und Verzweiflung, Kampf und Hoffnung“.
Das nützte er für einen starken zweiten, dritten, vierten Akt, je nach Zählung: In der Rezeption seiner neuen Musik bleiben die Springsteen-Fans zwar weitestgehend unter sich (was reicht, um die Alben in Top-Chartpositionen zu hieven). Mit autobiografischen Ein-Mann-Konzerten am Broadway, seiner Autobiografie "Born To Run" oder auch seinen Songtexten in Buchform "Like A Killer In The Sun" aber gibt er so würdig wie erfolgreich den Elder Statesman des Rock, und noch mehr als einst den Arbeiterdichter.
Das könnte noch lange so weitergehen - und so lebt die Hoffnung auf weitere Wien-Konzerte.
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