Denn Springsteen hat „Only The Strong Survive“ in den Anfängen der Coronapandemie aufgenommen, und, ach, wie sehr hätte es diese bittere Zeit leichter gemacht, wenn man da hätte als Mäuschen dabei sein können. Dass so angstbehaftete Wochen und Monate in so ein sorgenfreies Album münden würden, wer hätte das damals gedacht.
Springsteen covert auf dem soeben erschienenen Alben bekannte Songs und persönliche Favoriten aus der Soul- und R&B-Ecke, von „Nightshift“ über „The Sun Ain’t Gonna Shine Anymore“ bis „What Becomes Of The Brokenhearted“.
Gut abgespielte Songs also, die im Formatradio mindestens so viele Autobahnkilometer absolviert haben wie Springsteens eigenes Werk; und dazu weitere Nummern aus demselben Bereich, die man weniger kennt.
Er macht das mit fast herausfordernd weit offenem Visier und freundlicher Selbstgewissheit – obwohl es Grund genug gäbe, zumindest zögerlich zu sein: Wildert man mit so einem Projekt doch als etablierter Superstar in einem Bereich, der sonst von Hochzeitsbezahlmusikern und jedem zweiten DJ mit vorgefertigter Playlist beackert wird.
Aber Springsteen steckt hier einen weit persönlicheren Claim ab: Er kehrt hier zu einer Musik zurück, die er in den 1960ern und 1970ern selbst gelebt hat, und die er – mit immer noch gültiger Arbeiterlyrik und muskulösen Refrains angereichert – zu eigenem Weltruhm weitergeführt hat. Insofern verdient die Songkollektion mehr Würdigung als andere Nostalgiewerke: Hier bewässert Springsteen nicht fremden Humus, sondern die eigenen Wurzeln.
Einer anderen Falle bei Wiederaufgüssen großer Musik aber ist er nicht entkommen: „Only The Strong Survive“ klingt so digital übergenau und steril, wie Aufnahmen heute halt klingen; und wer den wunderbar verwaschenen Soulsound im Ohr hat, wird hier mit musikalischen Kinkerlitzchen aus der Percussion konfrontiert, bei denen es besser wäre, gäbe es einen Soundbrei, in den sie sich einfügen könnten. Immerhin: Die E-Street-Hornsektion ist dabei, der Rest von Springsteens Kultband leider nicht. Die meisten Instrumente spielte Ron Aniello, Springsteens Produzent, ein – eine ungewöhnliche und konstruierte Vorgehensweise für ein Album, das letztendlich trotzdem viel Live-Charakter verströmt.
Aber genug bekrittelt: Die erste Veröffentlichung Springsteens seit 2020 ist ein dankbares Gebrauchsalbum, das man wunderbar im Hintergrund bei diversen Tätigkeiten (Romantik, Wohnungputzen) laufen lassen kann. Wer Muße hat, zuzuhören, wird sich über manche neue Facette von Springsteens Stimme freuen und manch andere lieber gleich wieder vergessen wollen. Einigen Songs („The Sun Ain’t Gonna Shine Anymore“) weiß Springsteen gar nichts hinzuzufügen. Anderswo hört man nachgerade die Schnurstracks-Linie, die zu Springsteens eigenen Hits und Themen führt. Das fügt sich dann genügsam in die letzten Prä-Pandemie-Jahre des Superstars, in denen er u. a. am Broadway schon auf sein erstaunliches Leben zurückblickte. Es sind Klangerinnerungen an die Zeit in Asbury Park, zum Glück ohne ein Übermaß „Opa erzählt vom Krieg“-Nostalgie. Und wenn man „Only The Strong Survive“ brav durchgehört hat, schaltet der Musikplayer dankenswerterweise weiter zu den alten Springsteen-Songs. Und viele von denen sind wirklich, wirklich gut.
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