Diese infektiöse Wirkung eines Springsteen-Konzertes hat viele Gründe. Allen voran die E-Street-Band: 50 Jahre spielt der Amerikaner jetzt mit vielen dieser Musiker zusammen – zum Beispiel mit den legendären Gitarristen Nils Lofgren und Little Steven. Da stehen zusammengenommen hunderte Jahre Rock-Leben auf der Bühne. Das sieht man Springsteens abgeschabter E-Gitarre, die an den lacklosen Stellen tiefe Furchen im Holz hat, mehr an als dem 73-jährigen selbst. Aber man sieht an den ständig lachenden, fröhlichen Gesichtern: Da stehen Freunde auf der Bühne, die in all den Jahren eng zusammengewachsen sind, und tun das, was ihnen im Leben am meisten Spaß macht. Das sieht man nicht nur, das ist auch zu hören. Oder besser zu spüren - in dieser mitreißend fröhlichen Energie, die da durchs Ernst-Happel-Stadion schwappt.
Zu hören ist die Professionalität. Die Band ist natürlich perfekt eingespielt. Der Sound ist so gut, dass jeder Triangel-Schlag, jedes kleine Piano-Riff in der Tonmischung präsent ist und nichts davon in der Wucht der E-Gitarren untergeht. Und es gibt nach dem ersten Paket vorwärtstreibender Rocker viel Abwechslung - sowohl im Sound als auch in der Stimmung. Das funktioniert wieder Dank der Band so gut, die mit fast 20 virtuosen Mitgliedern (darunter fünf Bläser und die Violinistin Soozie Tyrell) die Möglichkeiten und das nötige Können hat. Das Commodores-Cover „Nightshift“ ist sanfter Soul, „Kitty’s Back“ geht nach einem bluesigen Intro in einen swingenden, jazzigen Boogie mit Soli der Bläser über.
Überhaupt gibt Springsteen allen Musikern immer wieder die Möglichkeit, bei Soli zu glänzen. Was sie genauso lustvoll wie perfekt am Punkt betreiben: Die Soli sind nie zu lange, nie musikalische Selbstbefriedigung oder Angeberei, sondern stehen immer im Dienst des Songs, bauen sein Feeling auf und treiben es in ungeahnte Höhen.
Nachdenklich wird es bei „Last Man Standing“, einem Song über den Tod von Springsteens Freund George, mit dem er mit 15 Jahren seine erste Band gegründet hatte. Mit eingeblendeten deutschen Untertiteln erzählt er, dass er nach dem Tod von George der letzte Überlebende dieser Band ist und resümiert, dass man angesichts des Endes den Tag ergreifen und gut zu sich selbst und seinen Lieben sein soll, aber auch zu der Welt, in der wir leben.
Natürlich hat Springsteen auch einige seiner Welthits im Programm: „The River“ ist der erste. Anfangs überlässt er dabei die hohen Töne seinen SängerInnen, gibt dem Klassiker aber ein faszinierendes Finale, indem er die Melodie am Schluss ganz allein in der hohen Oktave zart und zurückhaltend summt.
Wenn man dann nach 50 Minuten auf die Uhr schaut, sind zwei Stunden vergangen und die Show geht auf das Finale zu. Aber das ist ja bei Springsteen traditionell noch eine weitere Stunde. Und was heißt überhaupt Show? Es gibt ja eigentlich gar keine. Nur riesige LED-Schirme auf den Seiten, die die Musiker auf der Bühne zeigen, vielfach in perfekter Nahaufnahme, dass man auch weiter hinten im Stadion jede Emotion und jeden Schweißtropfen sieht. Mehr braucht es nicht. Springsteens Charisma reicht völlig, um die drei Stunden spannend zu halten.
Die Schlussphase mit Hits wie „Born To Run“, „Glory Days“ und „Dancing in The Dark“ ist jetzt sowieso ein Triumphzug für die Musiker und ein glückseliger Höhenflug für das Publikum. Noch einmal wird die Band vorgestellt, und während sie abgeht, bedankt sich Springsteen bei jedem einzelnen. Denn den Schlusspunkt mit „I’ll See You In My Dreams“ setzt er mit seiner Akustikgitarre ganz allein.
Das nachdenkliche Abschiedslied an einen Verstorbenen ist das perfekte Finale eines Traumkonzerts, das voll war mit dem, was es dafür braucht: Seele und Herzblut, brillante Musiker, einen variantenreichen Sound, großartige Songs und Energie, Energie und noch mehr Energie. Das war ein Schub Lebensfreude, der sicher für den Rest des Sommers reicht, ein Erlebnis, das man nie mehr vergisst.
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