Brandauer: "Im Film kann man nicht spielen"

Brandauer: "Im Film kann man nicht spielen"
Klaus Maria Brandauer als Sexualforscher im Kino: "Der Fall Wilhelm Reich".

Zehn Jahre ist es her, seitdem Klaus Maria Brandauer eine Hauptrolle im Kino spielte. Nun meldet er sich mit Antonin Svobodas Spielfilm „Der Fall Wilhelm Reich“ (Kinostart: 18. Jänner) zurück – als Sexualforscher und Regenmacher. Klaus Maria Brandauer im KURIER-Gespräch über schlimme Finger, abgebrochene Interviews und Jahresringe.

KURIER: Es hat lange gedauert, bis Sie wieder in einem österreichischen Kinofilm spielten.

Klaus Maria Brandauer: Das liegt ja nicht an mir ...

Reißen sich die Regisseure nicht um Sie?

Ich kann nicht jedes Drehbuch annehmen. Das hat nichts mit Qualität zu tun, aber mit fortschreitendem Alter mach’ ich nur Dinge, wo ich das Gefühl habe, ich habe das passende Gesicht dazu. Früher habe ich mich ja sehr gerne angeschaut, doch das hat irgendwann aufgehört – wegen der Jahresringe. Aber jetzt geht’s wieder. Jetzt ist die dritte Spielzeit angebrochen und jetzt ist Hopfen und Malz verloren.

Warum Wilhelm Reich?

Das Drehbuch hat mir gleich irrsinnig gut gefallen. Und der Kerl – ich darf das so flapsig sagen, weil ich ihn jetzt doch ein bisschen kenne – also der Kerl, oder das Bild, das ich mir von Wilhelm Reich gemacht habe, ist mir nähergekommen. Jetzt kenn’ ich ihn.

Hat sich Ihr Bild von Reich im Zuge der Arbeit geändert?

Ich habe ihn noch lieber. Wir beleuchten in unserem Film ja die dritte Phase seines Lebens, wo die Menschen allgemein die Chance haben entweder gescheiter oder blöder zu werden.

Reich galt ja als Begründer der sexuellen Revolution.

Natürlich, das Sexuelle... das ist aber eine Sache, die mich nicht so wahnsinnig interessiert, weil man das schon alles weiß. Was für mich ganz entscheidend ist: Herr Reich war einer, der sich für die Gleichberechtigung der Menschen einsetzte, insbesondere der Frauen. Gerade auch seine Berührungstherapie, die damals als verpönt galt, war ein echter Fortschritt. Reich war ein großer Künstler, einer, der den Menschen als Gesamtkunstwerk sah. Ich bin nach wie vor begeistert von ihm.

Man stellt sich Reich – vielleicht naiverweise – exzentrisch vor. Sie aber spielen ihn sehr zurückgenommen.

Ich bin immer zurückgenommen. Wo haben Sie mich denn nicht zurückgenommen gesehen?

Zuletzt in Francis Ford Coppolas Film „Tetro“, zum Beispiel.Da hab’ ich ja gar nichts zu tun, da tu’ ich bloß ein bisschen dirigieren. Und, mein Gott, einmal habe ich halt einen kleinen Koller ...

Michael Caine sagte kürzlich, als Schauspieler lerne er am meisten in der U-Bahn. Und Sie?

Ach ja? (spöttisch) Handbewegungen von Menschen in der U-Bahn nachmachen? Also, was ich von Michael Caine mitgenommen habe, ist folgender Satz: „Ich lese keine Drehbücher, die ein Flop werden.“ Da musste ich sehr lachen. (lacht) Aber den Satz habe ich mir gemerkt – und manchmal sag’ ich ihn selbst und sag’ gar nicht dazu, von wem er stammt.

Gehen Sie nicht mit einem Konzept an Ihre Figur heran?

Im Film gar nicht, im Film kann man ja nicht spielen. Das ist ja das Furchtbare. Nein, im Film muss man einfach sein. Und möglichst so, dass jeder glaubt, es ist wahr. Wir als Schauspieler haben ja nur Worte, Worte, Worte. Aber Worte können auch das Gegenteil von dem bedeuten, was gerade gedacht wird. Und ich muss mich meistens hüten, weil ich gerne Interviews gebe, die ich gelegentlich auch abbreche.

Wann brechen Sie Interviews ab? Bei blöden Fragen?

Nein, ich habe schon bei sehr guten Fragen abgebrochen, oder weil es sonst zu spät geworden wäre.

Wie weit würden Sie denn gehen, um bei den Zuschauern gut anzukommen?

Ich mache alles, damit das Publikum mich versteht. Und ich werbe gerne für die Figuren, die ich spiele – wenn es auch die schlimmsten Finger sind.

Worin, glauben Sie, liegt Ihre Beliebtheit beim Publikum?

Jetzt ist es zu spät, darüber nachzudenken. Ich bin aber saufroh, dass es so gekommen ist. Und natürlich wollte ich beliebt werden.

Sie scherzten bei der Viennale-Premiere, Sie hätten sich auf die Reich-Rolle 69 Jahre vorbereitet. Sie werden nächstes Jahr 70. Beschäftigt Sie das Alter?

Natürlich. Ich beschäftige mich mit dem Alter seit ich 18 bin. Das ist nicht günstig.

Was ist nicht günstig?

Na hören Sie mal, man kommt auf die Welt und – zipp – soll man schon wieder gehen. Ich bin tief beleidigt. Und unter uns Pfarrerstöchtern: Das Alter macht mir natürlich etwas aus. Es gab Zeiten, da hielt man meinen Sohn für meinen Bruder, aber das ist leider lange her.

Zukunftspläne haben Sie aber schon noch, oder?

Ich rede nicht über Dinge, die kommen, aber ich mache sie, und dann kann man sie sehen. Ich habe wahnsinnig viel vor. Unter anderem werde ich bekannt geben, dass ich erst 49 werde.

Der österreichisch-amerikanische Psychiater Wilhelm Reich (1897–1957) galt als Visionär, Aufklärer, Provokateur, Rebell, Scharlatan, Wunderheiler und Sexguru. Als Pionier des ganzheitlichen Denkens musste er zwei Mal mit ansehen, wie seine Bücher verbrannt wurden: 1933 von den Nazis und 1956 – nach seiner Emigration in die USA – von der US-Gesundheitsbehörde.

Freud

Noch als Student wurde er 1920 von Sigmund Freud in die Wiener Psychoanalytische Gesellschaft aufgenommen und ein Jahrzehnt später wieder verstoßen. Zu sehr missfielen seinem Lehrmeister seine Theorien über die Funktion des Orgasmus, sein psychosomatischer Denkansatz und die temporäre Hinwendung zum Kommunismus. Reichs letzte Lebensjahre – auf die sich Antonin Svobodas Film „Der Fall Wilhelm Reich“ konzentriert – waren von der Erforschung der Orgon-Energie geprägt.

In den düsteren McCarthy-Jahren wurde er mit seinen Therapiemethoden und seiner Kritik an der Atomforschung zur Zielscheibe der US-Gesundheitsbehörde. Gegen eine gerichtliche Anordnung setzte Reich seine Arbeit fort. Zu zwei Jahren Haft verurteilt, starb er 1957 im Gefängnis. Zehn Jahre nach seinem Tod wurde Wilhelm Reich zu einem der Leitbilder der 68er-Generation.

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