Wenn Oper schmerzhaft in die menschlichen Abgründe blickt

Ein „Bluthaus“, in dem man nicht bleiben möchte, das man aber besuchen sollte:  Die Wiener Festwochen setzen  auf Psychothrill.
"Bluthaus" von Georg Friedrich Haas und Händl Klaus – auch so soll Musiktheater sein.

So ungemütlich, so aufregend, so fordernd, so verstörend und so klug waren die Wiener Festwochen schon lange nicht mehr. Zumindest nicht im Bereich des Musiktheaters. Denn was Intendant Markus Hinterhäuser hier auf die Beine gestellt hat, kann sich sehen und hören lassen.

Nach einer wohl für jeden Besucher unvergesslich-intensiven "Orfeo"-Adaption durch Regisseur Romeo Castellucci (Stichwort: Wachkoma-Patientin) hat Hinterhäuser nun mit " Bluthaus" den nächsten Beweis angetreten, dass uns Oper auch heute noch etwas angeht.

Albtraum-Domizil

Eine Frau namens Nadja will ein Haus verkaufen. Das Haus ihrer Eltern, in dem sie gelebt hat, in dem sie aufgewachsen ist, in dem sie vom eigenen Vater sexuell missbraucht wurde. Der Makler und die potenziellen Käufer erscheinen. Doch die Geister der Vergangenheit (die toten Eltern Nadjas) sind allgegenwärtig. Das schmucke Eigenheim entpuppt sich immer mehr als Albtraum-Domizil.

Das klingt sperrig und ist auch sperrig. Aber was Komponist Georg Friedrich Haas und sein kongenialer Librettist Händl Klaus aus diesem Stoff machen, geht weit über tragische Einzelfälle wie Kampusch oder Fritzl hinaus. Ja, es gibt ihn, den Keller. Ebenso wie die scheinbare Naturidylle. Haas hat aber eine Musik ersonnen, die in ihrer zärtlichen, stellenweise meditativen Art quasi eine Form seelischer Psychotherapie darstellt, die zwischen Horror-Elementen (Stephen Kings "Shining" lässt grüßen) bis zum Sprechgesang alle Register zieht. Der Text von Händl Klaus ist poetisch, direkt, sehr konkret.

Psycho-Sitzung

Regisseur Peter Mussbach (auch Bühne) versucht dankenswerter Weise erst gar nicht, auf diese kühl-berechnende, zweistündige Psycho-Session etwas draufzusetzen. Das zweistöckige "Bluthaus" spielt die Hauptrolle. Enge und Weite wechseln einander ab; Banalitäten spiegeln das reale Leben wider. Hart, aber gut gemacht.

Und die musikalische Seite? Das grandiose Klangforum Wien bringt unter der Leitung von Peter Rundel alle Facetten und Schattierungen (davon gibt es viele) der Partitur zum Klingen. Die Sopranistin Sarah Wegener ist als gepeinigte Nadja vokal wie darstellerisch ein Ereignis. Otto Katzameiers enorm präsentem Vater geht man besser aus dem Weg; als Mutter hat Ruth Weber starke Momente. Countertenor Daniel Gloger – er muss als Makler fisteln bis zum Geht-Nicht-Mehr – führt ein bis in die kleinsten Rollen adäquat besetztes Ensemble an.

KURIER-Wertung:

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