Bibel, Marx und Frankenstein

"Metropolis"-Autorin Thea von Harbou: NSDAP-Mitglied und Winnetou-Fan
Metropolis: Was an Thea von Harbous Romanvorlage zu Fritz Langs Filmklassiker dran ist.

Bekannt ist sie heute vor allem als Fritz Langs Frau. Doch sie war mehr als das. Die Schriftstellerin Thea von Harbou schuf die Romanvorlage zu Langs – und selten passt dieses Attribut so gut wie hier – "Kultfilm".

"Metropolis", eine aberwitzige futuristische Albtraumwelt, in der eine grausame Zwei-Klassen-Gesellschaft herrscht und wo es doch eine Zukunft gibt: Die Liebe als "Mittlerin zwischen Arm und Reich." Neben Sozialkitsch strotzt der nun, 90 Jahre nach seinem ersten Erscheinen wieder aufgelegte Original-Roman vor Zitaten, Verweisen und mehr oder weniger plausiblen Nebenhandlungen.

Da verliebt sich ein unbedarfter Sohn aus reichem Haus in die junge, strahlend schöne Maria ("ungeschminkt war ihr Mund und doch granatapfelrot"). Als er sie wiedersehen will, entdeckt er die triste Welt der Arbeiter, die in der Unterstadt ihr erbärmliches Dasein fristen. Doch es brodelt bereits in der Armensiedlung. Ein ehrgeiziger Wissenschaftler entführt Maria und konstruiert eine mechanische Doppelgängerin. Die "Maschinen-Maria" soll die Arbeiter zur Revolution anstiften.

Die utopische Welt, die verbotene Liebe, die Mensch-Maschine und die Zwei-Klassen-Gesellschaft: Das ist "Romeo und Julia" und Karl Marx auf einmal. Dazu frühe Science-Fiction von Jules Verne bis H.G. Wells und natürlich jede Menge Bibel-Pathos ("Seht, das sind eure Brüder"). Und die Maschinen-Maria, sie hat wohl viele Vorbilder: Mary Shelleys Frankenstein, aber auch E.T.A. Hoffmans "Automatenmenschen" oder Villiers de L’Isle-Adams "Eva der Zukunft".

Herz und Hirn

Viele Zeitgenossen haben Thea von Harbou Kitsch unterstellt. Sie selbst wollte weder Gegenwart noch Zukunft abbilden– ihr Buch ranke sich um eine Erkenntnis, schrieb sie im Vorwort: "Mittler zwischen Hirn und Händen muss das Herz sein."

Einfältig? Vielleicht. Umstritten? Auf jeden Fall.

Warum es sich trotzdem lohnt, diesen Roman wiederzuentdecken: In ihm sind bereits jene starken Bilder veranlagt, die in Fritz Langs Film zu ikonenhaften Symbolen der (Pop-)Kultur des 20. Jahrhunderts wurden. Und so ist "Metropolis", schreibt Franz Rottensteiner im Nachwort, "trotz seiner emotionalen Exzesse weit interessanter als die meisten utopischen Romane der damaligen Jahre."

Thea von Harbou, die gemeinsam mit ihrem Mann auch das Drehbuch zum Film "Metropolis" verfasste, war die wichtigste Drehbuchautorin der Weimarer Republik. Neben Leni Riefenstahl ist sie die berühmteste Frau des deutschen Films dieser Zeit. Und ebenso kritisch zu sehen. Zwar sind viele ihrer Drehbücher für die lebhaftesten Eindrücke der deutschen Filmgeschichte verantwortlich – sie schrieb für Murnau und verfasste, oft gemeinsam mit Lang, zwischen 1920 und 1953 mehr als sechzig Drehbücher. Darunter Klassiker wie "Das indische Grabmal", "Dr. Mabuse", "Die Nibelungen", "Faust" und "M".

In der NS-Zeit war sie viel beschäftigt. Während Fritz Lang 1933, nach der Machtergreifung der NSDAP, nach Paris emigrierte, wurde sie Vorsitzende des offiziellen "Verbandes deutscher Tonfilmautoren". Die Ehe mit Fritz Lang war da bereits am Ende.

Leben und Tod

Thea von Harbous Lebensgeschichte war filmreif. Die Harbous, ein verarmtes Adelsgeschlecht aus Brandenburg, erzogen Thea zur "höheren Tochter". Geige, Klavier, mehrere Sprachen – und das mit deutschnationaler Gesinnung. Doch das außergewöhnlich begabte Kind überdribbelte die Eltern in ihren Erwartungen und verkaufte bereits mit neun Jahren eine Geschichte an eine Zeitung. Sie schrieb Gedichte, schwärmte für Winnetou, ritzte ein "W" in ihr Handgelenk. Mit sechzehn kam der erste Roman ("Wenn’s morgen wird"), danach wurde Thea gegen den Willen der Eltern Schauspielerin.

Und sie sah wie ein Filmstar aus. Blond, strahlende Augen. Thea von Harbou und Fritz Lang, den sie 1926 in zweiter Ehe heiratete, wurden zum Glamour-Paar der Berliner High Society. Die schreibende Schöne und der kauzige Monokelträger legten glänzende Auftritte im Hotel Adlon hin.

Thea von Harbou muss eine widersprüchliche Person gewesen sein. Festzumachen ist das an ihren Romanen, aber auch an ihrem Privatleben: Harbou, NSDAP-Mitglied, lebte offen mit einem Dunkelhäutigen, dem Inder Ayi Tendulkar zusammen. Allerdings galten Inder bei den Nazis ja als "Ursprungsarier". Bemerkenswert das Szenario ihre Todes 1954: Bei der Wiederaufführung eines auf ihrem Drehbuch basierenden Filmes stürzte sie beim Verlassen des Kinos und starb wenig später an den Folgen dieses Sturzes.

Bibel, Marx und Frankenstein
cover

Thea von Harbou: „Metropolis“.

Mit einem Nachwort von Franz Rottensteiner.

Milena. 272 Seiten. € 24,90.



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