Nur weil sie es kann
Dolly Parton hat ihn 1973 veröffentlicht. Angeblich hat sie ihn am selben Tag wie einen anderen Riesenhit geschrieben: „I will always love you“. Eine Legende, die nur Partons Songwriting-Genius untermauern soll? Sie selbst sagt in ihrer unprätentiösen Art: Es könnte schon so gewesen sein. Wenn man Tausende Songs geschrieben hat, manchmal auch einfach auf eine Serviette mitten beim Essen bei Freunden, dann kann man sich da nicht mehr so exakt erinnern, meint sie.
„Jolene“ ist einer jener Songs der Musikgeschichte, die simpel, aber effektiv erzählen: Die Sängerin hat Angst, dass eine außergewöhnlich schöne Frau (eben mit den flammend rotbraunen Haaren) ihr den Mann ausspannend wird. Sie bittet „Jolene“ inständig, ihn ihr nicht wegzunehmen, „nur weil sie es kann.“ Zwei Episoden sollen zur Entstehung des Liedes beigetragen haben: Zum einen ein Flirt ihres Mannes mit einer Postbeamtin und zum anderen eine Konzertbesucherin mit roten Haaren und dem Namen Jolene, die zu Parton auf die Bühne durfte.
„Jolene“ ist der meistgecoverte Song von Dolly Parton. Er bekam ein aufgerautes Arrangement von den White Stripes verpasst, Miley Cyrus liebt ihn und hat ihn mehrmals – unter anderem als Duett mit Parton – gesungen. In der Pandemie entstand eine Parodie mit dem Titel „Vaccine“ – Parton hatte ja eine Million Dollar an die Covid-Impfforschung gespendet. Es gibt verschiedene Antwort-Songs, die die Perspektive der anderen Frau einnehmen („Diane“ von der US-Countrysängerin Cam zum Beispiel). Musik-Exegeten haben sich auch eingehend mit der Frage beschäftigt, warum die Schönheit der Nebenbuhlerin in dermaßener Ausführlichkeit beschrieben wird und auf unterschwellige gleichgeschlechtliche Anziehungskraft getippt.
2024 wird nicht gefleht
Davon ist bei Beyoncé nichts mehr zu hören. Die deutlichste Änderung, die der Pop-Star vorgenommen hat, ist, dass das flehentliche „I’m begging you“ einem drohenden „I’m warning you“ gewichen ist. Das kann man als zeitgemäß notwendige Aktualisierung verstehen: Im Jahr 2024 bettelt eine selbstbewusste Frau wie Beyoncé halt nicht mehr darum, dass ihr ihr Mann erhalten bleibt.
Es stellt sich dann aber schon auch die Frage, warum im Jahr 2024 eine selbstbewusste Frau immer noch mit einer anderen Frau um einen Mann streiten muss.
Musikkritiker und andere Spezialistinnen haben Beyoncés Neuerfindung von „Jolene“ nicht nur gut gefunden. Irritiert hat sie zum Beispiel, dass gegen Ende eine männliche Perspektive eingebracht wird. 50 Jahre lang hätte eine weibliche ausgereicht. Am meisten wird allerdings bedauert, dass Beyoncé dem Song eine herausragende Eigenheit genommen hat, etwa im Magazin Slate: „Das Einzigartige an dem Song ist doch, dass die Erzählerin ihre ganze Verwundbarkeit offenlegt und ihre Rivalin um Gnade bittet. Beyoncé reduziert das Lied zu einem gewöhnlichen Angebertrack über die Großartigkeit ihrer eigenen Ehe.“
Dolly Parton nimmt das alles, wie es ihre Art ist, sehr gelassen. Sie hat über Social Media ausrichten lassen: „Beyoncé macht dem Mädel die Hölle heiß und die verdient es!“
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