Bernhard ließ ausrichten: "Schreib was Schiaches"

„Wenn man sich erinnert, reproduziert man etwas, und dann denkt man sich oft: Na, eigentlich stimmt’s eh nicht." Der Schriftsteller Alois Brandstetter steht manchen autobiografischen Werken kritisch gegenüber
Der österreichische Literatur-Doyen über Thomas Bernhard, Robert Lembke und den Heiligen Aloysius.

Man wirft ihm vor, dass er ein Konservativer ist, vor allem in künstlerischen Belangen. "Ich kenne vieles, das es mir wert ist, es zu bewahren. Ja, ich bin konservativ," sagt Alois Brandstetter. Allerdings müsse auch ein Konservativer wissen, wann es Zeit ist, progressiv zu sein.

Alois Brandstetter, Doyen der österreichischen Literatur, ist ein zurückhaltender Mann, der lange nachdenkt, bevor er Antworten gibt. Dessen Sätze oft mit "eigentlich ..." beginnen. Doch tief drin sitzt der Schalk – den man auch aus seinen Romanen kennt. Der Humor muss leise sein. Wird er laut, dann passt’s nicht mehr. Die Lesungen zu seinem erfolgreichsten Roman "Zu Lasten der Briefträger" hat er deshalb eingestellt. Sie seien "zu kabarettistisch" geworden.

Gerade hat er seinen neuen Roman fertiggestellt. "Aluigis Abbild" ist einerseits ein Wissenschaftsroman über den Heiligen Aloysius von Gonzaga. Andererseits erzählt das Buch fein und sprachwitzig die rein erfundene Geschichte, wie sich die Mutter des jungen Aloysius, zärtlich Aluigi genannt, an den Maler Rubens wendet, damit dieser ein Porträt ihres Lieblingssohnes male. Gedanklich ist Brandstetter schon beim nächsten Buch, einer Geschichte über seine Großmutter Maria Brandstetter. "Fünf Söhne im Feld" hatte sie, zwei sind im Ersten Weltkrieg gefallen. "G’scheiter wär’s gewesen, sie wären als Bauernsöhne im Ackerfeld geblieben".

Alois Brandstetter wurde 1938 als Sohn eines Innviertler Müllers geboren. Streng und sehr katholisch waren die Eltern, der Bibliotheksbestand beschränkte sich auf die Bibel. Das Leseabenteuer des jungen Alois begann, als nach dem Krieg die "Hamsterer" aus Wien kamen und all ihr Hab und Gut gegen Lebensmittel eintauschten. Bei den Brandstetters gab’s Mehl, im Tausch dafür Bücher.

Debüt mit Trotzkopf

Und so kam "Trotzkopf" zu Alois Brandstetter. Ob er das gern gelesen habe? "Eigentlich schon." Noch lieber war ihm Karl May. Den las er ständig, auch im Petrinum, dem bischöflichen Gymnasium. Sogar während der Exerzitien. Und zwar laut.

"Mitten im Jahr bin ich dann rausgeflogen. Auf dem Nachtkastl meiner Mutter hab’ ich den Brief des Präfekten gefunden. Es war ein Dokument der schwarzen Pädagogik. Darin stand sinngemäß, ich sei auf dem Weg zur Hölle. Das war für meine Mutter, eine kleine, alte Bäuerin, ein unheimlicher Schock." Den Brief hat er aufgehoben. "Der tiefe Schmerz den ich der Mutter bereitet habe, hat mich auf der Stelle domestiziert. Ich wollte ihr nie mehr so weh tun. Danach war ich dann vielleicht zu brav und ruhig."

Den einen zu brav, den anderen zu wild. Am Anfang der Schriftsteller-Karriere las Brandstetter oft im Radio. "Da wurde ich als Kirchenrebell beschrieben. Das machte meinen Vater stutzig. Er hat zwar selber nicht gelesen, aber er war sehr misstrauisch, was mein Schreiben betraf. Die Freude der Eltern über meinen Erfolg war getrübt."

Zu Schreiben begann Brandstetter während seiner Zeit im Saarland, wo er an der Universität unterrichtete. Seinem Vorgesetzten war das gar nicht recht. Einmal rief er ihm laut nach: "Brandy, schreiben Sie aber nicht wieder einen Roman!" "Brandy" hielt sich nicht daran.

Der Durchbruch kam 1974 mit "Zu Lasten der Briefträger". "Auf der einen Seite ist ein solcher Erfolg ein großes Glück, andererseits wird man auch abgestempelt. Man wollte wieder etwas Lustiges von mir. Die elegischeren Töne, die ich dann angeschlagen habe, hat man mir vorgehalten." Selbstkritisch spricht er auch von manchen autobiografischen Büchern: "Wenn man sich erinnert, reproduziert man etwas, und dann denkt man sich oft: Na, eigentlich stimmt’s eh nicht."

Nie mehr Bachmann

Derzeit schreibt Brandstetter immer wieder kleinere Texte, auch für Zeitungen. In politische Debatten mischt er sich selten ein. Auch das haben ihm Schriftstellerkollegen immer vorgeworfen. Manchmal fühlt sich er deshalb missverstanden. Er findet: "Man soll keine gestrige Ideologie vertreten. Aber davon abgesehen muss nicht jeder ein politischer Schriftsteller sein."

Sein Auftreten in der Öffentlichkeit schätzt er schwierig ein: "Ich hab’ mich oft blamiert. Am Podium mit anderen sitzen und zur rechten Zeit das Richtige sagen, das ist mir nie ganz gelungen. Einmal war ich beim Heiteren Beruferaten bei Robert Lembke. Ich hab die ganze Sendung verhaut, weil ich die Frau, deren Beruf zu erraten war, erkannt und alles gleich verraten hab’." Wenig gelungen war im Nachhinein auch sein Mitwirken in der Jury des Bachmann-Preises: "Dort gehe ich nie mehr hin". Als der Wettbewerb vor 39 Jahren startete, äußerte sich Brandstetter kritisch, war aber dann "trotzdem so unvorsichtig, in die Jury zu gehen. Ich hab’ mich nicht bewährt. Dieses schnelle Urteilen liegt mir nicht. Der Reich-Ranicki hat mir in der Jury-Sitzung dann eine gewaltige Ohrfeige gegeben. Ich war ganz weg." Seither ist das Bachmann-Kapitel abgeschlossen. Aber die Siegertexte liest er selbstverständlich jedes Jahr.

Die jungen Schriftsteller von heute hätten ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein, sagt Brandstetter. "Ich will keinen Respekt, wir sind der Reibebaum für die Jungen. Das ist anthropologisch konstant." Der Germanist schätzt Elfriede Jelinek , und mit der 2010 verstorbenen Schriftstellerin Brigitte Schwaiger pflegte er jahrelang regen Briefwechsel. Und sonst? "Die, mit denen ich zusammen war, sind tot. HC Artmann. Oder Thomas Bernhard. Den hab’ ich aus der Distanz bewundert. Ich bin ihm immer ausgewichen, man hat ja bei ihm nie gewusst. Er hat mir ausrichten lassen, ich soll endlich etwas Schiaches schreiben."

Und was würde er dem jungen Alois Brandstetter mit auf den Weg geben? "Man soll sich dem Zeitgeist eher verweigern als ihm zu Willen sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass etwas Gutes entsteht, wenn man überall dabei ist und mitrennt."

Bernhard ließ ausrichten: "Schreib was Schiaches"
Residenz
Zur Person: Alois Brandstetter wurde am 5. Dezember 1938 in Pichl, OÖ geboren. Bis 2007 lehrte er Deutsche Philologie an der Universität Klagenfurt. Sein berühmtester RomanZu Lasten der Briefträger“ erschien 1974. Brandstetter lebt in Kärnten, ist mit der pensionierten Lehrerin Suchra verheiratet, die Deutschkurse bei der Caritas gibt. Die Söhne Markus und Andreas sind erwachsen, Markus ist Journalist beim Rolling Stone. Für die drei wichtigsten Romane hält Brandstetter Kafkas Prozess, Robert Walsers „Der Gehülfe“ und Robert Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“.

Alois Brandstetter:„Aluigis Abbild“. Die Geschichte eines sehr keuschen Heiligen, seines Porträts und der Maler Rubens und Van Dyck. Residenz, ab 3. September. 19,90€

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