Berlinale: Friedhofsbesuch mit einer Wachtel

Berlinale: Friedhofsbesuch  mit einer Wachtel
Das Beste zum Schluss: Hassliebe zu Israel von Nadav Lapid und Angela Schanelecs „Ich war zuhause, aber“.

„Entfällt. Vorführung musste leider abgesagt werden.“

Heuer endet der Berlinale-Wettbewerb einen Tag früher. Das ohnehin schon magere Hauptprogramm wurde von 17 auf 16 Filme reduziert. Warum? Weil die neue Arbeit des chinesischen Regisseurs Zhang Yimou „One Second“kurz vor der Premiere aus dem Programm gekippt wurde. Das gab es noch nie auf der Berlinale.

Es gäbe „technische Probleme“ bei der Post-Produktion, so die dürre offizielle Erklärung. Ein weiterer chinesischer Jugendfilm mit dem Titel „Better Days“ war bereits im Vorfeld zurückgezogen worden.

Naturgemäß flammte sofort der Verdacht auf Zensur auf. Zwar gilt der ehemals als regimekritisch eingestufte Zhang Yimou mittlerweile als rehabilitiert. Tatsächlich aber ist der Inhalt seines Films, Maos Kulturrevolution der Jahre 1966–’76 immer noch ein sehr heikles Thema in China, wo sich im letzten Jahr die Zensurvorschriften verschärft haben. Zudem benötigen Filme, die ins Ausland auf Festivals reisen, eine Reiseerlaubnis. Was auch immer der Grund war, er wurde nicht gezeigt.

Kein Blatt vor den Mund nahm sich jedenfalls der israelische Regisseur Nadav Lapid in seinem genial unberechenbaren Spielfilm „Synonymes“, der im Wettbewerb gezeigt wurde.

Jämmerlich. Bestialisch. Derb. Widerlich. Engstirnig. All diese Begriffe und noch viele mehr fallen dem jungen Israeli Yoav ein, wenn er an seine Heimat denkt. Wie manisch murmelt er die Synonyme vor sich hin, während er durch die Straßen von Paris tigert, verfolgt von einer wilden Handkamera.

Flucht aus Israel

Yoav hat den Militärdienst abgeleistet, dann nichts wie weg aus Tel Aviv. Er will Israel radikal hinter sich lassen, landet mittellos in Paris und weigert sich dort hartnäckig, je wieder ein hebräisches Wort zu sprechen.

Während eines Jobs in der israelischen Botschaft lernt er einen Kollegen kennen, der die Leute in der Metro mit seiner jüdischen Herkunft konfrontiert und zu Antisemitismen provozieren möchte, in denen er ihnen die israelische Bundeshymne in die Ohrmuschel zwingt.

„Keine Grenzen mehr!“, ruft hingegen Yoav und lässt alle Wartenden vor der Botschaft in rauen Mengen ins Gebäude. Den Job ist er schnell wieder los.

Der israelische Theaterschauspieler Tom Mercier als getriebener Yoav ist ein echter Hingucker und quasi das alter ego von Regisseur Lapid. Auch der hatte vor zwanzig Jahren Israel Richtung Frankreich verlassen, um seiner Militärkultur zu entkommen. Mit „Synonymes“ gelang ihm ein furchtloses, exzentrisches Hass-Liebe-Pamphlet, das Bewegungen aufreißt, sie abrupt enden lässt und frenetisch zu „Pump Up The Jam“ tanzt.

Während Nadav Lapid mit seinem pulsierenden Beitrag die Fieberkurve des Wettbewerbs hinauftrieb, gelang der deutschen Regisseurin Angela Schanelec das genaue Gegenteil: Ihr elegisch-schöner Film „Ich war zuhause, aber“ entschleunigt das Bewegtbild auf wundersame Weise, beobachtet Hund, Hase und Esel und sieht einer Frau dabei zu, wie sie ihre Familienkrise durchschreitet.

 

Berlinale: Friedhofsbesuch  mit einer Wachtel

Angela Schanelec ist eine herausragende Vertreterin der sogenannten Berliner Schule und seines zerdehnten Erzählkinos. In ihren Bildern entfalten sich das Banale und das Erhabene gleichermaßen – und nicht immer bedarf es logischer Erklärungen. Wenn sich Astrid, eine junge Witwe und Mutter zweier Kinder, auf dem Grab ihres Mannes zusammenrollt und ihr dabei eine Wachtel Gesellschaft leistet, weiß man nicht, warum. Aber allein das Bild ist umwerfend.

Samstagabend werden die Bären vergeben. Man darf gespannt sein, für welchen Sieger oder welche Siegerin sich die Jury unter Juliette Binoche entscheiden wird.

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