Bekiffte Pensionisten in einem literarischen Vexierspiegel

Piersandro Pallavicini ist hauptberuflich Uni-Professor  
Der italienische Autor und Chemieprofessor über seinen Roman "Ausfahrt Nizza".

Dieser Mann muss ein effizienter Arbeiter sein: Hauptberuflich ist Piersandro Pallavicini Professor für Nanotechnologie an der Universität von Pavia. Nebenbei schreibt er für Heavy-Metal-Magazine, für La Stampa und für einen der größten Verleger Italiens, Feltrinelli.

Sechs Romane hat der 52-Jährige bisher herausgebracht. Geschrieben "am Wochenende und in den Ferien". Die Forschung der Literatur zuliebe an den Nagel zu hängen, kommt ihm nicht in den Sinn: die Chemie ist seine große Liebe, die zweite, die Literatur, wird wohl Maitresse bleiben müssen. Für seinen neuen Roman hat Pallavicini zwei Sommer gebraucht. Man könnte "Ausfahrt Nizza" für leichte Urlaubslektüre halten. Titel, Cover und auch die Handlung deuten das auf den ersten Blick an. Fünf Italiener jenseits der Siebzig auf der Reise nach Nizza. Körperlich in schlechtem Zustand, aber gut betucht, beweisen sie, dass Alter nicht zwingend mit Würde zu tun hat.

Man kann Pallavicinis Roman durchaus so lesen und sich dabei gut unterhalten. Was unter dieser Rentner-Tragikomödie liegt, kann, muss man aber nicht herauslesen.

Denn einerseits ist die Geschichte dieser fünf Pensionisten auch ein Spiegelbild der italienischen Gesellschaft – "so machistisch sind sie, die Männer dieser Generation", sagt Autor Pallavinci im Gespräch mit dem KURIER. Mit einer Frau, deren Oberlippenbart man seit sechzig Jahren hasst, bleibt man natürlich verheiratet. Aber man führt daneben sein eigenes Leben.

Andererseits ist "Ausfahrt Nizza" auch eine Hommage an die Literatur und eine Satire auf den Literaturbetrieb.

Hauptprotagonist Cesare, ein pensionierter Verlagsleiter, der seine fortschreitenden Multiple-Sklerose-Leiden mit Haschisch lindert und ansonsten ein solides, langweiliges Leben führt, ist seit Jahrzehnten mit Franca verheiratet, deren starke Gesichtsbehaarung er ebenso hasst wie die Tatsache, dass sie im Gegensatz zu ihm allerhöchstens Rätselzeitschriften liest.

In Nizza macht er sich auf den Spuren eines unveröffentlichten Romans des US-Schriftstellers Frederic Prokosch (1908-1989) auf die Suche nach Leo Mayer, einem Schriftsteller und ehemals besten Freund, den er einst gefördert und berühmt gemacht hat. Nach Jahren des Schweigens fährt Mayer ausgerechnet in Nizza in einem Taxi an ihm vorüber.

Kultautor

Bekiffte Pensionisten in einem literarischen Vexierspiegel

Der Roman-Mayer war in den 80er-Jahren Kultautor – ganz wie sein reales Vorbild Pier Vittorio Tondelli (1955-1991).

Tondelli traf als Autor den Nerv der Jugend. 24 Jahre nach seinem Tod ist er immer noch Kult – eine ihm gewidmete Facebook-Seite hat 7512 Freunde. "Wir haben uns damals wie Tondellis kleine Brüder gefühlt", erzählt Pallavicini von der Schwärmerei vieler Junger für den Kultautor. Mit der Romanfigur Leo Mayer hat Pallavicini Tondelli nun ein Denkmal gesetzt. Mayer ist, ebenso wie der echte Tondelli, besessen auf den Spuren von Frederic Prokosch unterwegs, der tatsächlich in Grasse in der Nähe von Nizza lebte. Weshalb Pallavinci seinen Roman, einem literarischen Vexierspiel gleich, eben dort angesiedelt hat.

Und noch einen guten Gag hat er eingebaut: Im Original heißt das Buch "Romanzo per signora" ("Roman für eine Dame")– ein Hinweis auf ein angebliches Prokosch-Manuskript, das Leo veröffentlichen möchte. Cesare aber hält Leos Übersetzung für "einen einzigen Irrtum. Angefangen beim Titel. Roman für eine Dame".

Pallavicini hat nun seinen Roman nach eben diesem "Irrtum" benannt – was auch in einer weiteren Hinsicht lustig ist: Denn er ist völlig irreführend. Ein "Frauenbuch" ist diese klug gebaute, wilde Mischung aus Literaturrätsel und halbtragischer Kiffer-Pensionisten-Komödie nun wirklich nicht.

KURIER-Wertung:

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