Seine Silhouette war sein Markenzeichen. Der Zopf, die Sonnenbrille - man musste nur das gesehen haben, um zu wissen: Es ist Karl Lagerfeld. Eine Büste in schwarz/weiß. In den frühen Siebzigerjahren hat Lagerfeld aber noch nicht so ausgesehen. Er hatte einen Bart und trug wild gemusterte Hemden. Also wenn man der Serie „Becoming Karl Lagerfeld“, die morgen, Freitag auf Disney+ startet, glaubt. In Folge zwei sieht man schon, wie sich der Designer in ein Korsett schnürt, Einlagen in seine Schuhe legt und die markante Brille aufsetzt. Später wird er zu Marlene Dietrich beim Tee sagen: „Ich verstecke mich jeden Tag. Das ist nicht mein Körper, das ist nicht meine Größe, ich bin nicht 35 Jahre alt. Wäre ich ich, würden die Leute an mir vorübergehen.“
Die französische Serie, in der Daniel Brühl den Modeschöpfer spielt, und die nach „Cristobal Balenciaga“ und „The New Look“ die dritte historische Modeserie innerhalb eines Jahres im Streaming ist, setzt 1972 in Paris ein. Lagerfeld ist noch nicht die gigantische Größe in der Mode, er ist mehr eine Ideenameise. Er arbeitet für mehrere Modehäuser zugleich, in Paris für Chloé, in Rom für Fendi.
Mode-Söldner und Ideen-Ameise
In einer Zeitschrift wird er deshalb als „Söldner des Prêt-à-Porter“ bezeichnet. Den Weg von dieser Arbeiter-Anonymität zur auffallenden Individualität zeichnet „Becoming Karl Lagerfeld“ an zwei Fronten nach. Zum einen an der beruflichen, wo er bemüht ist, seinen eigenen Stil zu finden. Und wo er sich immer wieder im Wettstreit mit Yves Saint Laurent befindet, mit dem er auf der Modeschule war und der kein Söldner-Image, sondern bereits das des Mode-Genies erworben hat. Über YSL führt aber auch die zweite Front, die private. Schon in Folge eins wird erzählt, wie der erfolglose Schriftsteller Jacques de Bascher sich alle Mühe gibt, Lagerfeld zu erobern. Unter anderem bei einem ersten Date, in dem er unter dem Trenchcoat nackte Beine hervorblitzen lässt - um dann eine Lederhose zu enthüllen. Wie man einen Deutschen halt so beeindrucken will.
Weil sich die Beziehung nicht so entwickelt, wie de Bascher sich das vorstellt, rächt er sich mit einer Affäre mit Yves Saint Laurent an Lagerfeld. Es wird ein langer Leidensweg der gegenseitigen Demütigungen, mitunter direkt in der schicksten Umgebung der Welt, der französischen Modeszene mit ihren Anna Piaggis und Paloma Picassos.
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Brühl: Bubenhaft, aber überzeugend
Die Serie fokussiert stark auf das Gefühlsleben Lagerfelds, beziehungsweise seine Unfähigkeit, ein solches in „normalem“ Ausmaß überhaupt zu haben. Das ist manchmal so intim, dass es fast unangenehm wird. Immerhin hat man den statuenhaften, aber doch realen Mann hinter der Figur noch als lebende Respektsperson in Erinnerung. Daniel Brühl, der optisch zwar manchmal etwas zu bubenhaft trotz aller Karl-Accessoires wirkt, nimmt man die Stürme, die in ihm toben, aber gut ab.
Humor vergeht
In der ersten Hälfte der sechsteiligen Serie kommt auch der schlagfertige Humor des Designers zur Geltung. Das nimmt dann leider ab und zehrt auch etwas an der Unterhaltsamkeit der Serie. Wohl auch, dass die zuvor von der Seherschaft aufgebaute Sympathie für diese Version von Karl Lagerfeld durch diverse Aktionen wieder abkühlt. Dass er in Paris mit seiner „Mutti“ zusammenlebt, erklärt er Jacques anfangs lapidar: „Ich kann auch nichts dafür, dass niemand sonst auf der Welt so lustig ist wie sie.“ Nachdem sie einen Schlaganfall hatte, schob er sie auf den Landsitz ab und besuchte sie in den vier Monaten, bis sie schließlich starb, kein einziges Mal. Die Serie, die erforschen will, wie die emotionale Beschaffenheit des Designers sein Leben geprägt hat, schafft es nicht, diese Grausamkeit verständlich zu machen.
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