Aufbruch in eine neue Ära

Adrianne Pieczonka (Kaiserin) bewahrt Johan Botha (Kaiser) vor dem Versteinern. Triumph für die Strauss-Hofmannsthal-Oper in München.
Jubel für "Die Frau ohne Schatten" bei der Gala-Premiere.

Die Bayerische Staatsoper München und die Wiener Staatsoper haben einiges gemeinsam. Beide zählen – mit ihren Vorläufer-Institutionen – zu den ältesten Opernhäusern im deutschen Sprachraum. Beide spielen ein ähnliches Repertoire. Und beide Theater wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört und danach nicht neu, sondern rekonstruiert wiederaufgebaut.

Während die Wiener Staatsoper im November 1955 ihren Betrieb wieder aufnahm, dauerte es in München länger: Die Wiedereröffnung erfolgte am 21. November 1963 mit der „Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss (die in Wien auch Teil des Wiedereröffnungsreigens war). Joseph Keilberth stand am Pult.

Warum dieser historische Rückblick? Weil in München nun dieses Neustarts vor genau 50 Jahren gedacht wurde, passenderweise auch mit einer Neuproduktion der „Frau ohne Schatten“. Und weil mit dieser Aufführung künstlerisch eine neue Zeitrechnung begann, die alle Voraussetzungen hat, zu einer Ära zu werden.

Traumdebüt

Kirill Petrenko, der heuer in Bayreuth mit seiner „Ring“-Interpretation begeistert hatte, stand erstmals in seiner Funktion als Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper (in der Nachfolge von Kent Nagano) am Pult. Und es verwunderte nicht, dass Nikolaus Bachler, der österreichische Intendant, schon in der zweiten Pause nur mit lächelnden Gesichtern konfrontiert war und mit Äußerungen älterer Besucher, die auch vor 50 Jahren im Haus gewesen waren: Diesmal sei es genauso gut.

Petrenkos Lesart ist, ähnlich wie auf dem Grünen Hügel bei Wagner, gleichermaßen auf den großen Bogen wie auf kleinste Details ausgerichtet. Er changiert zwischen expressiver musikalische Geste und feinsten kammermusikalischen Momenten. Die „Frau ohne Schatten“ ist bei ihm weniger romantisch, als sie es etwa mit Christian Thielemann bei den Salzburger Festspielen war. Petrenko betont die Schärfen, die Brüche – all das mit einem energetischen Furor.

Die Prognose fällt nicht schwer: Mit ihm wird die Bayerische Staatsoper nochmals an Qualität gewinnen und sich nachhaltig unter den besten Häusern der Welt etablieren. In Bezug auf Präzision und Klangfarben wird der in München enorm präsente Dirigent, der außer in Bayreuth und an der Bayerischen Staatsoper nirgends Oper dirigiert, mit dem Orchester wohl im Lauf der Zeit auch noch einiges erreichen.

Den Platz unter den attraktivsten Häusern sichert München aber auch das Bekenntnis zur szenischen Bedeutung der Kunstform Oper. Wenn noch dazu, wie bei der „Frau ohne Schatten“, ein Könner wie Krzysztof Warlikowski Regie führt, ergibt das einen seltenen Glücksfall von Musik-Theater.

Traumdeutung

Warlikowski erzählt die komplizierte Geschichte um die Kaiserin, die einen Schatten und Kinder braucht, um zum Menschen zu werden, zutiefst poetisch, mit innovativen Mitteln und phänomenalen Videoeinspielungen (Denis Gueguin). Am Beginn stehen Ausschnitte aus dem Film „Letztes Jahr in Marienbad“.

Warlikowskis Regie ist freudianisch (wie jene von Robert Carsen in Wien), glamourös in der Optik, zeitgemäß in den Wünschen nach finanzieller Besserstellung des Färber-Paars, erotisch und auch humorvoll, wenn am Ende Ikonen des 20. Jahrhunderts wie Marilyn Monroe oder King Kong auftauchen. Die Inszenierung ist aber auch politisch, wenn es um die ungeborenen Kinder (jene der in der NS-Zeit Verfolgten) geht. Wie er mit einer Hundertschaft von Kindern auf der Bühne umgeht und wie er sogar Träume zu inszenieren vermag, ist grandios. Ein Schau-Stück, das stets aus der Musik und aus dem Libretto entwickelt wird.

Auch die Besetzung ist erstrangig: Johan Botha singt (wie seit 15 Jahren) den Kaiser göttlich, Strauss-Expertin Adrianne Pieczonka ist als Kaiserin ideal besetzt, wenngleich sie sich am Ende mühen muss. Deborah Polaski, die Isolde und Brünnhilde von früher, hat sich die Partie der Amme exzellent angeeignet. Sebastian Holecek ist als Geisterbote pure Freude.

Wolfgang Koch, der Barak, berührt mit Intensität, Ausstrahlung, klarer Artikulation und schönem Timbre. Das sängerische Ereignis ist jedoch Elena Pankratova als Färberin mit großem, dramatischem Sopran, fabelhafter Höhe, Ausdruckskraft und enormer Sicherheit. In dieser Stimme ist nichts schrill oder exaltiert. Die Russin hatte jahrelang im Hamburg im „Phantom der Oper“ gesungen, ehe sie von Zubin Mehta für das Opernfach und für Strauss entdeckt wurde.

Am 1. Dezember wird die Produktion auf staatsoper.tv live und in HD im Internet gezeigt – im Gegensatz zu den Wiener Übertragungen übrigens gratis.

KURIER-Wertung:

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