Mit ein wenig Verspätung eröffnete die Schweizer Autorin Julia Weber den Bewerb, mit einer Geschichte über die erotische Begegnung zweier Frauen, die eine Welt ins Wanken bringt. Gegen Ende fällt jemand mit dem Gesicht in eine Torte.
Die Jury-Debatte begann da, wo sie im Vorjahr aufgehört hatte: Mit amüsanten Auseinandersetzungen zwischen Klaus Kastberger und Philipp Tingler. Tingler: „Das einzig Provokante an dem Text ist, dass er so unglaublich verstaubt ist.“ Kastberger (im T-Shirt mit der Aufschrift „Larifari“) war „schwer beeindruckt“: „Der beste Text, den Michael Wiederstein je eingeladen hat. Das heißt nicht viel, aber einiges.“ Mara Delius, neu in der Jury, lobte die „Sprödigkeit“, die neue Vorsitzende Insa Wilke sah „einen Text, der mir die Hand reicht“.
Und am Ende der Debatte hatten wir alle einen neuen Begriff gelernt: „Parataktische Reihung“. Achtung, das ist Stoff und kann geprüft werden!
Dumm, doof, dämlich
Der Text der Leipziger Autorin Heike Geißler – eine Art Selbstinventur einer zwischen den Generationen verlorenen Frau – begann mit dem schönen Satz „Wir sind dumm, doof und dämlich.“ Und hielt etwas wichtiges fest: Man kann ein Kondom nicht zweimal verwenden.
Mara Delius: „Der Leser wird an jeder Ecke mit einer Lastenfahrradladung von Befindlichkeiten beladen.“ Es sei ein „schwer zu ertragender Text“ (und das war positiv gemeint!). Philipp Tingler urteilte: „Nicht besonders gelungen.“ Michael Wiederstein sah dagegen „satirische Qualität“.
Die Bestseller-Autorin Vea Kaiser – neu in der Jury und KURIER-Lesern auch als Kolumnistin bekannt – urteilte: „Die vielen Klischees haben mich traurig gemacht.“ Klaus Kastberger gefiel „das Ringen um eine Ausdrucksform“. Insa Wilke, die die Autorin eingeladen hatte, sah in der Geschichte nicht weniger als „eine Rede gegen die Tödlichkeit“. Klaus Kastberger fand zu dem wunderschönen Resümee: „Es gibt Texte, die sind zu klug für sich selbst.“
Tränchen
Necati Öziri, Autor und Theatermacher aus Berlin, schrieb eine Auseinandersetzung eines sterbenden Mannes mit seinem abwesenden Vater, der Terrorist war. Vea Kaiser lobte die „Rasanz“ des Textes und die „grandiose Lesung“: „Ich glaube, ich habe beim ersten Lesen sogar ein Tränchen zerdrückt.“ Michael Wiederstein sah „eine verzweifelte Verfluchung“, Klaus Kastberger eine Umkehrung von Kafkas „Brief an den Vater“.
Bevor zu viel Einigkeit aufkommen konnte, kritisierte Philipp Tingler den Text als „sehr betulich“: „Ich will keine Texte hier besprechen, wo Haare ,wuschelig’ sind.“ Zwischen Kaiser und Tingler kam es zu einer sehr hübschen Auseinandersetzung. Kaiser, sich sarkastisch entschuldigend: „Gott sei Dank, dieser Text ist pathetisch! Tut mir leid, dass mich das so erregt.“
Brigitte Schwens-Harrant lobte „die Kraft der Imagination“. Insa Wilke – sie hatte den Autor in den Bewerb geladen – hob den „Grad der Bewusstheit“ des Textes hervor und die Tatsache, wie er Politisches als „Subthema“ behandle: „Wir haben hier das Thema eines transnationalen Erinnerungsraumes.“ (Was wäre der Bachmann-Preis ohne elegante bildungsbürgerliche Formulierungen seitens der Jury!).
Intellektueller Luxus
Auch in der Pause kam es zu einer heftigen Diskussion – und zwar zwischen Neo-Jurorin Vea Kaiser und dem abgetretenen Jury-Vorsitzenden Hubert Winkels, der auch die Eröffnungsrede gehalten hatte. Kaiser kritisierte Winkels und die Literaturkritik als abgehoben und „hermetisch“, Winkels konterte, er leiste sich gerne ein wenig „intellektuellen Luxus“.
Nach der Pause gedachte die Jury der verstorbenen Friederike Mayröcker – Klaus Kastberger las ein wunderschönes Gedicht aus ihrer Feder vor. Ein guter Moment der Stille in der Wettlese-Aufregung.
Danach war die erste österreichische Vertreterin dran: Magda Woitzuck, schon mehrfach ausgezeichnete Autorin aus Neulengbach. Ihre beschreibungs- und andeutungsreiche Geschichte erzählt von einer Frau, die im Wald eine Leiche findet und in ein ihr fremdes Leben hineingezogen wird.
Flasche leer
Insa Wilke kritisierte „unklare Perspektiven“, Michael Wiederstein nannte den Text „übererzählt“, Klaus Kastberger ergänzte, er sei „sprachlich schlampig gearbeitet“. Kastberger blieb es vorbehalten, Giovanni Trapattoni (die „schiefen, hatscherten Vergleiche“ des Textes kritisierend) in die Literaturkritik zu erheben: „Spieler schwach wie Flasche leer“.
Philipp Tingler – man konnte im Raum die Verblüffung beinahe hören – war begeistert: „Ein sehr kunstvoller, gelungener Text.“ Vea Kaiser – sie hatte die Autorin eingeladen – hob hervor, dass sich die Geschichte um eine Figur dreht, für die sich sonst niemand interessiere: „Um eine ganz normale Frau.“
Was soll das?
Zum Abschluss des ersten Tages las die Salzburger Poetin Katharina Ferner eine mysteriöse, aber leichtfüßige Geschichte, die aus aneinander gereihten Träumen besteht. Mara Delius äußerte „die eindringliche Bitte, ob mir jemand diesen Text erklären könnte“. Philipp Tingler ergänzte: „Was soll das?“ Insa Wilke meinte, der Text versuche, aktuelle Diskurse „in eine Traumsprache zu übertragen“.
Klaus Kastberger sah die Geschichte in der Tradition der Avantgarde. Michael Wiederstein urteilte: „Dadaistische Traumprosa.“ Brigitte Schwens-Harrant (sie hatte eingeladen) sah eine „sehr interessante Möglichkeit, der Welt, wie sie uns begegnet, sprachtechnisch zu begegnen“.
Und auch das musste einmal gesagt werden.
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