Ausstellung "Kiss" in Wien: Wenn’s Busserl Pause hat
In der Filmkomödie „Wer zuletzt küsst ...“ (1935) mit Hans Moser und Heinz Rühmann wird von Liane Haid ein Kuss versteigert. Ein absolutes No-Go heutzutage.
Die Vernunft sagt uns, was auch behördlich angeordnet ist: Abstand halten. Zum Schutz unserer Gesundheit. Zwischenmenschliches muss warten auf bessere Post-Corona- Zeiten. ’s Busserl hat Pause.
So lassen sich auf das wechselseitige Lippenspiel in der Gegenwart der sozialen Distanzierung nur wenige ein. Auch wenn der Künstler Thomas Geiger in einer Performance Passanten mit viel Charme dazu einlädt, ihn durch eine Glasscheibe zu küssen.
Open-Air-Projekt
Geigers „Festival of Minimal Arts“ – Teil von „Kiss“ der Kunsthalle Wien, kuratiert von Laura Amann, Anne Faucheret und Aziza Harmel – mit dem Re-Enactment künstlerischer Performances u. a. von Jiri Kovanda, Cesare Pietroiusti oder Dora Garcia findet täglich bis 2. August statt.
Das Open-Air-Projekt, inspiriert von Gustav Klimts „Der Kuss“ (1907/1908), wird bis 30. September mit Interventionen von sechs heimischen Künstlern in der ganzen Stadt bespielt. Es präsentiert „Arbeiten im Spannungsfeld zwischen dem Bedürfnis nach Intimität, Berührung und Trost und der gleichzeitigen Unmöglichkeit dessen“.
Und widmet sich aktuellen Fragen: Wie passen das Bedürfnis nach mehr menschlicher Nähe und das gebotene Abstandhalten zusammen?
Wie lässt sich die Distanz zwischen Kunst und Publikum überwinden? Wie befreien wir uns in Zeiten von Zoom vom digitalen Alltag?
„Halt dich fern, aber halt mich“, ist auf Tragetaschen der Kunsthalle gedruckt. Unter diesem Titel hat Eva Egermann auch Plakate und Banner gestaltet, die im öffentlichen Raum verteilt sind. Anregend zum Nachdenken bei der Karlskirche der Satz: „Wenn mich jetzt einfach jemand halten könnte. Mich festhalten, damit ich nicht explodiere ...“
Oder die affichierte Aufschrift an einer Fassade der Casa Piccola in der Mariahilfer Straße 1b: „ich sehe die einsamkeit vor mir und sie ist leicht.“
Die Texte stammen von der 2016 verstorbenen Künstlerin Ianina Ilitcheva.
„Hausfrauendenkmal“
Margot Pilz, stellt am Karlsplatz ihr 1979 ursprünglich im Grazer Stadtpark präsentiertes „Hausfrauendenkmal“ neu auf – und weist damit auf ein unvermindert aktuelles Gesellschaftsphänomen hin.
Johanna Tinzl hat im Haupthof des Museumsquartiers ein Triptychon installiert, das aus einer 2016 entstandenen Serie stammt, in der sie die Holocaust-Überlebende Helga Pollak-Kinsky („Mein Theresienstädter Tagebuch“) porträtierte.
Dafür wählte Pollak-Kinsky neun Orte ihrer Heimatstadt Wien aus, die für sie sowohl vor ihrer Flucht 1938 als auch nach ihrer Rückkehr 1957 von Bedeutung waren. Die Foto-Arbeiten sind auch in einer Beilage der Juli-Ausgabe der Zeitung Augustin zu sehen.
Elke Krystufek wird eine Ausgabe der Stadtzeitung Augustin gestalten, die am 29. Juli erscheint. Im September wird sie am Karlsplatz ein Grabdenkmal errichten, „das an die oft ungewollt verlaufenen, falsch überlieferten und missverstandenen Lebens- und Sterbegeschichten von Frauen“ erinnern soll.
Und neben weiteren „Kiss“-Stationen wie dem Jüdischen Museum Wien oder dem Stephansdom wird Rade Petrasevic, Jahrgang 1982, ab 8. August bei der „Gürtelfrische West“ (Kreuzung Felberstraße/Stollgasse) in Wien-Rudolfsheim eine große Wandfläche gestalten.
Zahlen, so viel man möchte
Übrigens: Indoor bietet die Kunsthalle Wien heuer im Sommer „Pay as you wish“ an. Alle Besucher können den Eintrittspreis für die Ausstellung „… von Brot, Wein, Autos, Sicherheit und Frieden“ (bis 31. August) selbst bestimmen.
Info: www.kunsthallewien.at
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