Revolution im Kosmos
Die Ausstellung selbst erweitert die Parade der Revolutionssymbolik, die die Festwochen in den Wiener Kulturparks genüsslich spazieren führen, ins Esoterische - und stößt hoffentlich eine Debatte darüber an, welche Grenzziehungen hier notwendig sind. Denn die Abkehr von westlichen Gewissheiten hat nicht nur im politischen Feld einige böse alte Geister wachgerufen (Stichwort Postkolonialismus und Antisemitismus) - die legitime Kritik an modernem Denken hat auch das Potenzial, esoterischem und anti-aufklärerischem Schwachsinn die Tür zu öffnen. Die Beiträge zu "Genossin Sonne" liebäugeln mit allerhand esoterischer Spekulation und grenzen sich nicht klar ab - was Kunst aber wohl auch nicht unbedingt muss, wenn Platz für Widerspruch bleibt.
Satire - oder Größenwahn?
So ist nicht ganz klar, ob die Diagramme, die die US-Künstlerin Suzanne Treister an mehreren Stellen der Schau platziert hat, als Satireprojekt zu werten sind oder ob sie die dahinter liegende "Theorie" auch tatsächlich vertritt: Irgendwie soll es darum gehen, dass Künstler eine "hologrammartige" Beschaffenheit der Realität intuitiv verstanden hätten. Treisters Bilder, angelehnt an Diagramme von Esoterikern des 19. Jahrhunderts, sind jedenfalls schön bunt.
Verunsicherung streut auch Anton Vidokle, der die Geschichte der russischen "Kosmisten" in einer Videoserie aufgearbeitet hat. Deren Begründer Nikolaj Fjodorow verkündete: "Soziale Gleichheit bedeutet Unsterblichkeit für alle!", sein Nachfolger Chizevsky erfasste nicht nur die Gleichzeitigkeit von Sonnenaktivität und Revolutionen, sondern konzipierte auch ein seltsames Gerät, das schädliche Effekte abschirmen soll. Im Video "The Communist Revolution was Caused by the Sun", das in der Schau läuft, wird ein Nachbau davon "getestet". Und man fragt sich, ob hier die Kunst nicht der Aluhut-Fraktion eine Nobilitierung verschafft, die diese nicht verdient hat.
Jede Person, die irgendwann an Wissenschaft angestreift ist, weiß natürlich, dass Korrelationen und Kausalzusammenhänge nicht gleichgesetzt werden dürfen und dass die Sonnen-Revolution-These bestenfalls hoch spekulativ, schlimmstenfalls manipulativ ist. Ebenso klar sollte sein, dass es immer schon Bemühungen gab, irdische Vorgänge an jene des Kosmos zu binden - ein Video der Otolith Group macht das am Beispiel Ghanas in der Schau interessant fest, der Song "The Age of Aquarius" aus dem Musical "Hair" kommt einem auch in den Sinn.
Trennlinien
Gerechterweise muss gesagt werden, dass die westliche Moderne erst posthum von Esoterik "gesäubert" wurde und dass ohne Spiritismus auch die Abstrakte Kunst eines Wassily Kandinsky oder einer Hilma af Klint wohl nie das Sonnenlicht erblickt hätte. Es gilt aber, das ästhetisch-künstlerische Potenzial des Esoterischen von seinem realen Potenzial zu trennen: In der gegenwärtigen Gesellschaft, die in der Pandemiezeit mehr als genug Wissenschaftsfeindlichkeit und Relativismus erfahren hat, muss man nicht im Kosmischen schwelgen. Im Schutzraum einer Ausstellung kann man es freilich tun, wenn man unbedingt will.
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