Antony Gormley arbeitet an der Ordnung von Kunst und Intelligenz
Der britische Bildhauer zeigt eine Werkserie in Salzburg und spricht über seinen Impuls, Effizienz mit Herausforderungen der Natur zu versöhnen
15.04.23, 18:00
Der Villa Kast am Salzburger Mirabellplatz, 1853 erbaut, wohnt eine starke Spannung inne, findet Antony Gormley: „Das Haus ist ein kleiner Palazzo, es hat eine starke Symmetrie – und ist zugleich extrem häuslich.“ Tatsächlich wurde das Gebäude lange als Wohnhaus genutzt, bevor es Thaddaeus Ropac 1989 als Galerie adaptierte.
Nun hat der britische Bildhauer die Räume mit seinen Skulpturen zu einer Art Gesamtkunstwerk arrangiert: Figuren aus Stahlbändern reagieren auf die Symmetrien und Sichtachsen in der Architektur und sollen „Reflexionsinstrumente“ werden, wie Gormley sagt. Nachzudenken gilt es über das Zusammenleben, das Verhältnis zur Natur und zu den Ordnungen, die sich der Mensch schafft.
Die Idee, dem Haus quasi eine Werkserie auf den Leib zu schneidern, kam dem Künstler während der Lockdowns 2020. „Die Pandemie hat uns erlaubt, darüber nachzudenken, was es bedeutet, zu wohnen“, sagt der 72-Jährige – er verwendet das Wort to dwell, das sich mit „wohnen“ oder „hausen“, aber auch mit „verweilen“ übersetzen lässt. „Meine Obsession für den Großteil meines Künstlerlebens war, die Frage zu stellen, wo das Bewusstsein wohnt.“
Umwelt macht Skulptur
Gormleys Werkserie trägt den deutschen Begriff „Umwelt“ als Titel. Wie frühere Arbeiten orientieren sich die Skulpturen in ihren Dimensionen an der menschlichen Figur – doch ist diese in komplex verschlungene Schleifen aufgelöst, die teils weit in den Raum ausladen, sodass die Körper „auf die eine oder andere Art destabilisiert sind“, wie Gormley erklärt.
Für den Bildhauer, der bisher oft stehende, sitzende oder liegende Figuren als Ruhepole in Innen- und Außenräumen platzierte (siehe Artikel unten), ist die Abkehr von der Statik der Figur eine bedeutsame Weiterentwicklung. „Diese Ausstellung will sagen: Wir haben eine Welt gebaut, wie formt diese Welt jetzt uns?“ erklärt er.
Dass Künstler diese Frage stellen und andere Kräfte als den eigenen Gestaltungs- und Kontrollwillen zum Treiber der Formgebung machen, ist in der Kunst an sich nichts Neues. Gormleys Figuren haben allerdings nichts von den meist irgendwie organisch anmutenden, amorphen Formen, die häufig am Ende solcher Prozesse stehen, sondern sind rigoros konstruiert. Nur auf Papier experimentiert Gormley mit dem Organischen – etwa wenn er Tintenpilze zum Malen nutzt.
„Einerseits bin ich Romantiker – ich brauche die Natur, muss die Elemente spüren, Bäume pflanzen und ihnen beim Wachsen zusehen“, sagt Gormley, dessen Skulpturen am Computer entstehen und gemeinsam mit Spezialisten ausgeführt werden. „Ich bin völlig abhängig von Systemen, die mir erlauben, meine Gedanken und Erfahrungen in einen Rahmen zu bringen. Die Herausforderung – und ich denke, das spürt man in diesem Haus – ist es, den Fluss der Natur im Kontext der Geometrie zu akzeptieren.“
Raum greifen
Gormley ist kein Fan der abenteuerlichen Blasen-Raumgebilde, die dank computergestützter Planung Einzug in die Architektur gefunden haben. Eher gehe es darum, die effizienten Systeme der Moderne für die Gegenwart fruchtbar zu machen, beharrt er. „Egal ob wir über Buckminster Fuller, Louis Kahn oder Le Corbusier sprechen – sie alle suchten den effizientesten Weg, um der größtmöglichen Dichte an Menschen zu ermöglichen, einen gemeinsamen Raum in einer möglichst produktiven und kreativen Weise zu bewohnen“, sagt Gormley. „Ich denke, dass das noch immer die größte Herausforderung ist, wenn wir zur Entwicklung des Lebens auf diesem Planeten beitragen wollen anstatt zu seiner Zerstörung.“
Gormley sieht sein Tun stets in großen Zusammenhängen – ob er nun tonnenschwere Skulpturen aufstellt oder, wie in einer seiner frühesten Arbeiten, Felsbrocken in einer Wüste verräumt. Seine Kunst ist stets eine Messlatte, wobei die Frage nach der Art des Messens eine Rolle spielt: Orientiert man sich auf Basis des menschlichen Körpers an Elle oder Fuß, oder legt man kosmische Maßstäbe, etwa den Meter, an? „Ich denke, ich versuche, diese Positionen zu verbinden“, sagt Gormley. „Es gibt die Aufgabe, unsere Kreatürlichkeit mit unserer Fähigkeit, Dinge an Maschinen auszulagern, zu versöhnen. Ich glaube, das tue ich.“
Selbstfahrende Welt
Doch wenn wir von animalischen und rationalen Kräften geformt werden – wo kommt dann künstliche Intelligenz im Spiel? „Es gibt die Idee, dass Technologie ein natürliches Resultat unserer Evolution ist und dass unser biologisches Selbst verzichtbar ist“, sagt Gormley mit Verweis auf das Buch „Novozän“ des Forschers James Lovelock (1919 – 2022). „Ich halte das für gefährlich. Das Versprechen ist, dass uns KI nicht nur selbstfahrende Autos gibt, sondern eine selbstfahrende Welt, für die wir keine Verantwortung zu übernehmen haben.“
In diesem Sinn seien seine Skulpturen wörtlich als Monumente zu verstehen, sagt Gormley – als Mahnmale und Denkaufforderungen. „Meine gesamte Arbeit ist eine material gewordene Frage, was Skulptur ist und was der Mensch ist“, sagt er. „Nichts davon ist ein abgeschlossenes Projekt.“
Dass Antony Gormley (*1950) zu den bekanntesten Künstlers Großbritanniens gezählt wird, hat maßgeblich mit einem Werk zu tun: Mit dem „Angel of The North“ gewann er 1994 eine Ausschreibung der Stadt Gateshead, eines ehemaligen Industriezentrums im Nordosten Englands. Die Figur mit Flügeln mit der Spannweite eines Jumbojets ist nahe einer Autobahn platziert; neben 150.000 Besuchern, die das Werk jährlich direkt aufsuchen, werde es jede Sekunde von einer Person im Auto gesehen, heißt es in Angaben der Stadt.
Gormleys Interesse, Skulptur ständig neu zu definieren, führte zu vielen Interventionen im Außenraum. In Vorarlberg realisierte er 2010 das Projekt „Horizon Field“, bei dem er 100 eiserne Figuren – Abgüsse seines Körpers – auf exakt 2.039 Metern Seehöhe platzierte. Die Installation wurde 2012 abgebaut, derzeit macht sich ein privater Verein für die permanente Wiedererrichtung stark. Naturschützer sind dagegen, sie führen die Belastung durch Helikopterflüge bei der Aufstellung sowie die Befürchtung ins Treffen, das Projekt würde weiteren Begehrlichkeiten Tür und Tor öffnen.
Widerstand erfuhr Gormley auch am Imperial College London: Die für den Campus geplante Skulptur „Alert“ wurde von Studierenden als zu dominant und „phallisch“ empfunden. Der Künstler zeigt sich im KURIER-Gespräch aber offen für Kritik: „Es ist wichtig, dass die Menschen den Wert und die Effektivität von allem, was in den kollektiven Raum gestellt wird, infrage stellen“, sagt er.
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