Antigone ist’s wurscht, was Onkel Kreon sagt: Das gibt Drama, Baby!

Aenne Schwarz als Antigone, Joachim Meyerhoff als Kreon und Philipp Hauß (l.) als Bote, der Antigone beim Onkel vernadert hat
"Antigone" wird im Burgtheater mit Nebel, Lichtspielen und Cohen-Songs zur großen Rockoper.

Herrscher, die unpopuläre Entscheidungen treffen, werden vom Volk abgestraft, schrieb Sophokles vor 2456 Jahren. Am Abend der steirischen und burgenländischen Landtagswahlen hatte sein Drama "Antigone" im Burgtheater Premiere. Bombastisch, grell, großartig.

Pathos? Aber gerne und bitte nicht zu wenig!

"Antigone – das Musical", könnte man es nennen, oder auch: Jesus Christ Superstar trifft Carrie. Überzeugungstäterin Antigone (Aenne Schwarz), der das lange Haar am schmalen, nackten Oberkörper klebt, erinnert an Sissy Spacek in Brian De Palmas Horrorfilm "Carrie", ihre Schwester Ismene (Mavie Hörbiger), ebenso schmal und (fast) nackt, an eine verstörte Elfe. Gleich zum Auftakt darf Martin Schwab als blinder Seher Teiresias im langen schwarzen Mantel eindrucksvoll Leonard Cohens düstere Zukunftsvisionen singen: Im Song "The Future" trifft Charles Manson auf Hiroshima.

Mindestens so grausam geht es in Sophokles’ "Antigone" zu: Thebens Herrscher Kreon verurteilt seine Nichte Antigone zum Tode, weil sie ihren Bruder Polyneikes entgegen dem von Kreon ausgesprochenen Bestattungsverbot begraben hat. Sie handelt im Auftrag der Götter, er im Sinne der Staatsräson. Was die Götter sagen, hält er für Geschwätz. Gefühl und vox populi sagen: Recht hat es, das arme Mädel, ist doch schließlich der Bruder! (Auch wenn der selbst den anderen Bruder aufgespießt hat, aber so waren sie eben, die alten Griechen.)

Gut und Böse

In der Interpretation der Berliner Regisseurin Jette Steckel sind die Fronten zwischen Gut und Böse nicht ganz so klar. Hier darf Kreon glaubwürdig darlegen, dass es ihm um das Wohl der Allgemeinheit geht: Er betrachtet Polyneikes, der die Herrschaft Thebens an sich reißen wollte, als Staatsfeind. Man nimmt es dem als Kreon sehr differenziert auftretenden Joachim Meyerhoff gerne ab, dass es ihm darum geht, dass Gesetze eben eingehalten werden müssen. Die Teenager-Eltern im Publikum können es nachvollziehen: Diese Antigone, die wie eine trotzige Halbwüchsige auftritt und jedes Argument von Onkel Kreon mit barschem "Na und?" abschmettert, muss in die Schranken gewiesen werden!

Das wird sie dann auch, obwohl ihr Verlobter Haimon, Kreons Sohn, sich für sie ins Zeug legt (sehr berührend: Mirco Kreibich): Das Volk sei auf ihrer Seite!

Kreon weiß als gewiefter Politiker, dass mit dem Volk nicht zu spaßen ist: Statt gesteinigt zur Märtyrerin zu werden, soll die Revoluzzerin bloß bei lebendigem Leib eingemauert werden. Das lässt ihr weniger Raum für Selbstinszenierung, so die Überlegung. Nun, man darf als Machthaber den Gegner nicht unterschätzen: Antigone kommt ihm zuvor und hängt sich auf, sie hat als Tochter des Oedipus schließlich Erfahrung mit Pathos.

Rund 100 Minuten dauert das emotionale Durchbeuteln, ein wenig Erholung bieten launige Dialoge wie jene zwischen dem devoten Boten (Philipp Hauß) und dem zynischen Kreon: Der Täter plagt die Nerven ich die Ohren – Weh mir ein Rhetoriker von Haus aus.

Der Rest ist Rockoper. Mal wird man von der mobilen Lichterwand geblendet, dann wieder von direkt neben einem stehenden Chorsängern aufgeschreckt. Kreons Verwünschungen kommen per Laufsteg mitten ins Publikum. Nebel, Schattenspiele und die Musik von Anja Plaschg alias Soap&Skin machen Theben zum Schauplatz eines gigantischen, grellen Musikvideos. Anflüge von Durchhängern gibt es erst im letzten Drittel. Doch die Rache der Totengötter folgt auf dem Fuß. Drama, Baby!

Fazit: Eine bombastische, grelle Griechen-Show. Regisseurin Jette Steckl macht bei ihrer ersten Burg-Inszenierung auf große Oper. Eindrucksvolle Lichtspiele (Licht: Peter Bandl, Bühne: Florian Lösche), Nebel, tolle Chorsänger, berückende Musik von Anja Plaschg. Doch die Spannung hält nicht ganz bis zum Schluss durch. Die Textfassung von Frank-Patrick Steckel wirkt stellenweise unentschieden. Joachim Meyerhoff ist ein differenzierter Kreon, Mirco Kreibich berührt als Haimon. Martin Schwab ist ein starker Teiresias, Philipp Hauß darf als Bote sogar so etwas wie Humor zeigen.

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