Wenn ein absoluter Superstar zur vokalen Audienz bittet

Anna Netrebko setzt an der Wiener Staatsoper als Anna Bolena vokale und darstellerische Maßstäbe.
Anna Netrebko brilliert als Gaetano Donizettis tragische Königin "Anna Bolena" im Haus am Ring.

Da sage noch einer, man brauche keine Diven mehr. Doch man braucht sie sogar sehr. Besonders dann, wenn es darum geht, ein Werk wie Gaetano Donizettis "Anna Bolena" mit prallem (Bühnen-)Leben zu erfüllen. Denn die aktuelle Spielserie (Reprisen: 13., 17. und 20. April) von Donizettis 1830 uraufgeführtem Königinnen-Drama wird vor allem dank Anna Netrebko zu einem absoluten Ereignis.

Vor vier Jahren hat die Staatsoper das Werk rund um Heinrich VIII., der seine Gattin Anna Bolena zugunsten der Hofdame Giovanna Seymour fallen (und letztlich töten) lässt, für die Netrebko und (damals) Elina Garanča angesetzt. Szenisch (Regie: Eric Génovèse) ist dabei ein historisierendes Konzert in (schönen) Kostümen herausgekommen. Doch das ist fast egal, macht doch Netrebko als Anna Bolena vokal all das sichtbar, was man auf der Bühne eher nicht sieht.

Königin Anna

Atemberaubend, wie die russische Sopranistin diese Partie gestaltet. Netrebkos herrlicher, samtener, fülliger Sopran ist Donizettis Musik in allen Lagen mehr als gewachsen. Nahtlose Register-Übergänge, herrliche Kantilenen, vollendete, niemals aufgesetzt wirkende, mühelos in den Raum gesetzte Koloraturen, traumhafte Piani, eine packende Dramatik und ein Höchstmaß an physischem wie psychischem Ausdruck – so singt nur eine ganz große, ja einzigartige Künstlerin.

Und Anna Netrebkos Widerpart? Die Haus-Debütantin Ekaterina Semenchuk liefert als Giovanna Seymour eine mehr als solide Leistung ab. Ihr Mezzo klingt manchmal etwas schrill; die vorgegebenen Töne aber hat sie alle. Darstellerisch gibt es bei der Russin Luft nach oben.

Anders der stimmlich so kultivierte Luca Pisaroni, der als Heinrich VIII. alle Register seines hohen Könnens zieht, der Donizettis Melismen völlig verinnerlicht hat. Toll!

Zu diesem Trio gesellt sich am Ring noch der Tenor Celso Albelo, der seinen Lord Percy mit großer Attacke und der einen oder anderen forcierten Höhe singt. Als Smeton ist Margarita Gritskova mit ihrer nicht allzu großen Stimme richtig besetzt. Dan Paul Dumitrescu als Annas Bruder ist purer Luxus; Carlos Osuna und der souveräne Chor ergänzen das Ensemble gut.

Schade, dass Dirigent Andriy Yurkevych mit dem Orchester auf sehr langsame, dann wieder martialisch-radikale Klänge setzt. Hier wird sich die letzte Feinabstimmung aber sicher noch einstellen. Ovationen!

KURIER-Wertung:

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