André Heller wird 75: "Lorbeerblätter gehör’n in die Supp’n!"
Der ORF bemühte viele Superlative, um eine Sendung anzupreisen, die heute um 20.15 Uhr ausgestrahlt wird: André Heller, der in den ’70ern und ’80ern als Chansonnier „epochale Erfolge“ gefeiert und „sensationelle Alben produziert“ habe, hätte ein „Privatkonzert der Extraklasse“ gegeben und „nach vielen Jahrzehnten des Rückzugs“ sein Publikum endlich wieder „live und unplugged“ begeistert, „zum Lachen, zum Weinen und zum Jubeln gebracht“.
Dabei ist es ganz einfach: Der Mitschnitt „André Heller: Mein Hauskonzert“ ist fulminant. Sowohl von den Darbietungen her, als auch von der filmischen Umsetzung.
2019 war der Salon von Hellers Wohnung am Wiener Franziskanerplatz zum Studio geworden – für die Aufnahmen des Albums „Spätes Leuchten“. Danach fanden ebendort „Hauskonzerte“ etwa mit Camilla Nylund, Günther Groissböck und Rudolf Buchbinder statt, bei denen Heller als launiger Conférencier fungierte. Und nun, im Herbst 2021, lud er Musiker ein, um gemeinsam seine Lieder zu Gehör zu bringen.
Es gab gleich mehrere Konzerte: Heller und seine Schar saßen im Kreis zusammen, entlang der Wände und in den Türlaibungen drängte sich das handverlesene Publikum (von Sonja Klima bis Christoph Ransmayr). Und mittendrin zeichneten sieben Kameras alles auf. Im Endergebnis wirkt der Salon, ein intimer Rahmen, wie ein Ballsaal. Weil eben immer wieder neue Gesichter zu entdecken sind – und insgesamt rund 15 Künstler mitgewirkt haben: Robert Rotifer, der musikalische Mastermind, und Ernst Molden an den Gitarren, Florian Sitzmann am E-Piano (also doch nicht ganz „unplugged“), Oudmeister Marwan Abado, Perkussionist Peter Rosmanith, Bassistin Marlene Lacherstorfer, die Neuen Wiener Concert Schrammeln mit Maria Stippich und Helmut Stippich und anderen.
Hinzu kamen – neben Molden – der Nino aus Wien (der aus Hellers Kinderberuf „Schlagoberskoch“ ein Lied gemacht hat), Ursula Strauss und Voodoo Jürgens, mit denen Heller Duette bestritt. Die „Jungen“ zeigten ordentlich Respekt vor dem Meister, der auch als Erzähler und Improvisationsjongleur beeindruckte. Aber sie schlugen sich wacker.
KURIER: Eigentlich wollten Sie nicht mehr auftreten. Warum also doch?
André Heller: Seit 2020 gibt es mein Projekt der Hauskonzerte. ORFIII-Chef Peter Schöber mahnte beharrlich ein Konzert von mir selbst ein. Mein letzter TV-Auftritt als Sänger und Musikant war ja vor 38 Jahren.
Und Sie gaben schließlich nach?
Unter der Bedingung, das Ereignis in Schwarz-Weiß zu verfilmen. Das ermöglicht eine viel tiefere Konzentration, bietet schöne Innigkeit und sticht aus dem Ozean der Fernsehbuntheit hervor. Die Verantwortlichen haben dem – nicht ganz leichten Herzens – zugestimmt. Und so habe ich mit Robert Rotifer, der mich schon zu „Spätes Leuchten“ anstiftete, und einigen fulminanten Musikern und Musikerinnen zu experimentieren begonnen, um meine eventuell noch vorhandenen Fähigkeiten als Chansonnier auszuloten. Wir haben schließlich ein zweistündiges Programm erarbeitet.
Die meisten Lieder stammen von „Spätes Leuchten“, ergänzt durch Ihre größten Erfolge, aber einige zentrale Lieder fehlen. Warum?
Die Political Correctness hat Lieder wie „Und dann bin i ka Liliputaner mehr“ oder „A Zigeina mecht i sein“ aus dem Rennen geworfen.
Ich dachte, Sie stehen auch heute zu diesen Wörtern. Weil Sie sich im Lied selbst als Liliputaner fühlen.
Ich steh’ natürlich dazu, diese Liedtexte hatten ja bei ihrer Entstehung 1971 und 1972 nicht im Geringsten etwas Anrüchiges. Aber es existieren ja gut 250 Lieder von mir, da gibt es genug Alternativen.
Dass sich Ihre Stimme verändert hat, war auch ein Kriterium?
Sie klingt anders. Ich hab’ ja mein Leben nicht geschwänzt, und das bedeutet innere und äußere Veränderungen in vieler Hinsicht. Würde ich heute den 25-jährigen Heller zu imitieren versuchen, wäre das ja, als ob ich mich botoxen ließe, weil ich meine mühsam erworbenen Falten nicht wertzuschätzen wüsste.
Sie erwähnen im Mitschnitt die Zahl 74. In drei Monaten feiern Sie den 75er. Was bedeutet diese Zahl?
Ein Zwischenergebnis. Mein Vater starb mit 63, der Qualtinger mit 57 – beide damals als ziemlich alte Männer. Heute sieht die Sache, wenn man sich halbwegs fürsorglich behandelt, doch ganz anders aus. So lange es nicht ans Sterben geht, lautet meine Berufung: Leben. Und das tue ich: lustvoll, so viel wie möglich liebend. Aber so lange wie meine Mutter, die erst mit 103 den Durchschlupf genützt hat, werde ich nicht auf Erden im Engagement bleiben.
Ist dieses Konzert daher auch so etwas wie ein Vermächtnis?
Ja, zumindest von einer Facette meiner Möglichkeiten. Übrigens: Als jüngst der weise Sepp Forcher starb, wurde zu seinem Andenken mein mit ihm gedrehter „Menschenkinder“-Film gesendet. Von dieser Serie gibt es mittlerweile 46 Folgen, und ich sage allen, die sich mit mir aufs Erzählen ihres Lebens einlassen: „Achtung, das Ergebnis holt man sicherlich knapp nach eurem Tod aus dem Archiv, und es wird Zeugnis für eure Gedanken und Taten geben.“ Ich vermute, meinem Hauskonzert wird dieses Nachrufschicksal auch nicht erspart bleiben.
Das war der Ansporn, sich besonders ins Zeug zu legen?
Wenn einem Menschen das Kostbarste zur Verfügung stellen, was sie außer ihrer Gesundheit haben, nämlich ihre Zeit und Aufmerksamkeit, dann sollte man nicht nonchalant damit umgehen.
Wird es Rotifer nochmals schaffen, Sie zu einer Platte zu überreden?
Ich brauche andere Erfahrungen dringender. Derzeit stehen einige Garten- und Bauprojekte in Europa und Afrika im Mittelpunkt, und in den USA fordert mich eine sehr seltsame Verwirklichung heraus, von der ich Ihnen allerdings erst in der Jahresmitte erzählen darf. Also: Auf zu neuen Ufern, hinaus auf die Meere und, wenn es sein soll, auch in die Stürme des Unbekannten!
Daher haben Sie jetzt Ihr erstes Kinderbuch geschrieben.
Ja, aber „Tullios Geburtstag“ ist nicht nur für Kinder gedacht, sondern ein kleines Trostangebot für alle in diesen fordernden Zeiten. Eine Gemeinschaftsarbeit mit Maité Kalita, der hochbegabten Mutter meiner Enkel und ihrer Malerfreundin Esther Martens. Die Illustrationen der beiden sind ein Bilderrausch.
Bei der Begrüßung vorhin sagten Sie, Sie wollen nicht über die Pandemie reden. Aber in Ihrem Buch geht es doch um sie …
Die Traurigkeiten, die Tullio von der Pandemie beschert werden, treffen auch auf die Realität meiner Enkel, dem zehnjährigen Kiwi und dem vierjährigen Lucky, zu. So vieles ist für sie und Millionen anderer Kinder entfallen, darunter das Spielen mit Freunden, das Einander-in-den-Gatsch-Schmeißen, das Umarmen. Ich habe die kurze Geschichte geschrieben, weil wir alle Empathie, Ermutigung, Güte und Achtsamkeit benötigen. Wir sollen authentisch sein dürfen mit unserer Patschertheit, unseren Irrtümern und Ratlosigkeiten, aber auch mit der kostbaren Lösungsfähigkeit, die uns Fantasie und Kreativität bereithalten.
Dann hat die Pandemie zumindest auch positive Effekte?
Sie hat den Nebeneffekt, dass zum Beispiel viele zur Besinnung kommen und ihre Gedanken, ihre Arbeit und ihre zwischenmenschlichen Beziehungen neu und behutsamer ausrichten. Es melden sich zunehmend Investoren bei mir, die dem Konzept von Höher-Schneller-Weiter abschwören, um Projekte zu ermöglichen, die eine Haltung der Solidarität und Gerechtigkeit, des Schutzes unseres Planeten und seiner Lebewesen manifestieren.
Wie empfinden Sie die drohende Spaltung der Gesellschaft?
Ich habe gelernt, mich bis zu einem gewissen Grad in jedem zu erkennen. Wenn Menschen eine Angst haben, die mir fremd ist, so bemühe ich mich trotzdem, ein Verständnis für die Ursachen ihrer Befürchtungen zu entwickeln.
Sie haben auch Verständnis für die Demonstrationen, bei denen Gegner der Impfpflicht Seite an Seite mit Rechtsradikalen marschieren?
Das Demonstrationsrecht ist ein sehr kostbares Gut jeder Demokratie und ich bin dafür dankbar. Aber es ist schmerzhaft zu beobachten, wie Tausende besorgte oder skeptische und durchaus differenziert denkende, sympathische und oft auch mutige Frauen und Männer im selben Pulk mit völlig andere Ziele Verfolgenden, nämlich gewalttätigen Neonazis, wirren Holocaust-Verharmlosern, geschichtsblinden Wutgeladenen oder Staatsverweigerern und Identitären die Straßen fluten. Man kann als Teilnehmer eines solchen Aufmarsches nicht einfach sagen: „Ich persönlich stehe für eine andere, subtilere, humanistischere und vernunftgesteuerte Haltung als die Haltung derjenigen, die etwa jetzt gerade neben mir, in ihrer bitteren Frustration und Angst, geistig verführt von der radikalzynischen Kickl-Truppe, Hass grölen.“ Es kann, bitteschön, keine gegenteilige Demonstration innerhalb ein und derselben Demonstration geben. Man verstärkt leider und schadenbringend nur genau die Energie, von der man behauptet und glaubt, innerlich distanziert zu sein. Das ist ein äußerst bedrückendes Problem. Es bräuchte, wie meine kluge Großmutter oft sagte, eine göttliche Lösung, um diese im Grunde diametralen Gruppen voneinander gänzlich zu separieren und dann zu versuchen, jede für sich in einen stabilen Frieden zu führen. Wir hatten früher bei den großen Veranstaltungen – vom Lichtermeer bis zu den Massendemos der Friedensbewegung – niemals diese verstörende Mischung von besorgten Demokraten und aufhetzerischen Antidemokraten.
Was machen Sie am 22. März?
An meinem Geburtstag werde ich bei Wiederaufnahmeproben meiner Inszenierung des „Rosenkavaliers“ in der Berliner Staatsoper Unter den Linden sein. Mich als Jubilar feiern zu lassen, zählt nicht gerade zu meinen Genüssen. Lorbeerblätter gehör’n in die Supp’n, nicht aufs Haupt!
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