Miami, Accra, Abu Dhabi: Wohin sich die Kunstwelt heute ausrichtet

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Wer hat das Geld, wer bestimmt den Geschmack? Die Gemengelage ist so unübersichtlich wie selten zuvor. Ein Überblick.

Der letzte Schrei auf dem Ableger der Kunstmesse „Art Basel“, die noch bis zum Sonntag in Miami Beach, Florida, stattfindet, sind Milliardäre, die Bilder kacken. 

Genau genommen sind es Roboterhunde, die der Digitalkünstler Beeple alias Mike Winkelmann mit hyperrealistisch ausgeführten Masken ausgestattet hat: Die Köpfe von Meta-Boss Mark Zuckerberg, Tesla-Chef Elon Musk und Amazon-Gründer Jeff Bezos wurden da nachgebildet, aber auch Pablo Picasso und Andy Warhol sind vertreten. 

Die Milliardärshunde spazieren nun über einen der Digitalkunst gewidmeten Bereich der Messe, machen Fotos und drucken diese aus. Das sei eine Metapher dafür, dass Zuckerberg und Co zunehmend bestimmen, wie wir die Welt sehen, sagt Beeple. Das Werk sei zudem auf eine Vorschau auf Roboterhaustiere, die wir wohl bald ganz normal finden würden.

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Falls Ihnen der Name Beeple nichts sagt: Das ist jener Mann, der 2021 in die Schlagzeilen kam, weil eine von ihm über 5.000 Tage angelegte Bildersammlung (im Wesentlichen digitale Karikaturen) für 69 Millionen US-$ versteigert wurde, in Form eines speziellen Zertifikats, NFT genannt. 

Der Technologie wurde eine große Zukunft prophezeit, das Magazin „Art Review“ setzte sie 2021 an die Spitze seines „Power 100“-Rankings, das sonst eigentlich Personen vorbehalten ist (dazu später mehr) und fabulierte von der Entmaterialisierung der Kunst. Seitdem ist es still geworden um NFTs, und auch Beeple bietet wieder handfeste Dinge an (die Roboterhunde, innerhalb von Minuten ausverkauft, waren mit 100.000 US-$ pro Stück aus Milliardärsperspektive fast billig). 

Follow the Money!

Auch wenn der globale Einfluss der Tech-Oligarchen nicht zu leugnen ist: Die Kunstwelt ist keineswegs nur auf die Perspektive von Zuckerberg, Bezos und Musk hin ausgerichtet. Und Miami, traditionell ein wichtiger Kunstmarktplatz im Scharnier von Nord- und Südamerika, ist nur eine Insel in dem großen Archipel, das man grob vereinfachend als „die internationale Kunstwelt“ bezeichnet. 

Zeitgleich zum Messe-Preview in Miami eröffnete in Abu Dhabi - mit 13-jähriger Verspätung - das neue Nationalmuseum, ein vom Stararchitekten Norman Foster entworfener Prestigebau, der in eigenen Worten die „Geschichte des Emirats aus der Sicht seines Gründers“ erzählen soll. 

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Parallel zu den Feierlichkeiten setzte das Auktionshaus Sotheby’s eine „Sammlerwoche“ an, in der laut Ankündigung Gegenstände im Wert von einer Milliarde US-Dollar in das Emirat geschafft wurden. 

Neben Juwelen, Uhren und Sportwägen, die ganz offiziell zur Auktion stehen, zeigt Sotheby’s auch (vorerst) unverkäufliche Kunst: etwa das berühmte Banksy-Gemälde, das sich 2018 während einer Auktion selbst halb schredderte, und „Dame mit Fächer“ von Gustav Klimt – jenes Bild, das bis zur Versteigerung des „Bildnis Elisabeth Lederer“ im November den Auktionsrekord für ein Klimt-Gemälde hielt. Die „Dame mit Fächer“ ging 2023 nach Hongkong, den Käufer des Lederer-Bildnisses kennt man (noch) nicht – aber auch hier tippten einige auf die Emirate. 

Dass Geldgeber aus dem Golf auch in der zeitgenössischen Kunst, die traditionell weniger teuer und repräsentativ, aber imagemäßig fortschrittlicher ist, vorne mitspielen, entging auch den Juroren der Zeitschrift „Art Review“ nicht, die jedes Jahr antreten, um die Machtzentren der Kunstwelt neu zu definieren. 

Sheikha Hoor Al Qasimi, Gründerin der Biennale im Emirat Schardscha und Mitglied der dortigen Königsfamilie, hatte 2024 den Spitzenplatz belegt und findet sich im heurigen Ranking auf Platz 3. Auf Platz 2 liegt Sheikha Al-Mayassa bint Hamad bin Khalifa Al-Thani, Chefin der Museumsbehörde von Katar (und Mitglied der Herrscherfamilie), auf Platz vier Wael Shawky: Der Künstler wurde heuer zum künstlerischen Direktor eines neuen Ablegers der Kunstmesse Art Basel in Abu Dhabi bestellt, die im Februar 2026 erstmals über die Bühne gehen wird. 

Niedergang des Westens?

Der Aufschwung am Golf geht für die „Art Review“-Autoren mit Problemen anderswo einher: Sie nennen die Kulturkämpfe und Einsparungen in den USA unter Donald Trump und sehen in Deutschland eine „Krise der Meinungsfreiheit in der ehemals florierenden Kunstszene“, weil "kulturelle und politische Diktate" die Art und Weise, wie über den Gaza-Konflikt gesprochen werden dürfe, „kriminalisieren“ würde. 

Die Menschenrechtssituation in den Emiraten – ebenso wie die Rolle der Scheichs in bewaffneten Konflikten, etwa im Sudan – ist für die Kunstkritiker, die sich gern als Wortführer postkolonialer Diskurse positionieren, offenbar kein Thema.   

Im angeblich so repressiven Deutschland regieren übrigens weiterhin Maler wie Gerhard Richter die wichtigsten Kunstrankings. Richter genießt auch die Unterstützung des französischen Milliardärs Bernard Arnault, der in der Forbes-Liste der weltweit reichsten Menschen derzeit auf Platz 7 (hinter Zuckerberg) firmiert: Arnaults Privatmuseum, die „Fondation Louis Vuitton“ in Paris, richtet dem 93-jährigen Deutschen aktuell eine massive Werkschau aus.

Die große Umverteilung

Auf der Insel, die von „Art Review“ durchmessen wird, kommt kein Richter vor: Der wichtigste Künstler, und die Nummer 1 der gesamten „Power 100“ Liste, ist der Ghanaer Ibrahim Mahama. Wobei die Vermutung naheliegt, dass die Jury hier weniger eine individuelle Künstlerposition als ein wirtschaftliches Konzept würdigt: Mahama, der u. a. mit der Verhüllung ganzer Gebäude mit Jutesäcken bekannt wurde, investiert die Einnahmen, die er auf dem internationalen Kunstmarkt erwirtschaftet, nämlich in die Infrastruktur seiner Heimat, unterhält u. a. einen großen Studiokomplex, in dem Menschen Arbeit finden und Ausschussmaterial aus dem Wirtschaftskreislauf, darunter ausrangierte Züge, Schienen und ganze Flugzeuge, zu Kunst verarbeiten.

Vier Jahre nach dem Hype um die Entmaterialisierung durch Blockchain-Technologien und NFTs geht es also um Kreislaufwirtschaft – und um die Umverteilung von Nord nach Süd, von Reich zu Arm. Ob die Roboterhunde mit den Zuckerberg- und Musk-Gesichtern diese Ecke der Kunstwelt schon erschnüffelt haben, ist freilich zweifelhaft. 

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