Als die Handwerker die Popkultur retteten

Aus den Undergroundpartys der 90er wurde die globale Gelddruckmaschine „Electronic Dance Music“.
Der deutsche Journalist Ulf Poschardt brachte die Techno-Bibel "DJ Culture" neu heraus.

Die 1980er sind in Deutschland mit Kopfweh zu Ende gegangen: Aus avantgardistischem Postpunk war die öde Neue Deutsche Welle geworden. Musikalisch waren die Pfade der Popmusik ausgetreten – der Rock ’n’ Roll und seine radikaleren Spielarten wie Punk und Metal schienen auserzählt. Die Rettung brachte ausgerechnet jener Handwerker, den die britische Poplegende The Smiths in ihrem Song "Panic" soeben noch hängen wollten: Der Discjockey, schnöder Plattenverleger, der auf Partys und im Radio Hit an Hit mixte, trat in den Mittelpunkt.

Und die Technopartys wurden zum Hauptschauplatz pulsierender Subkultur. Mittendrin in dem Chaos der frühen 90er-Jahre (in dem in Wien etwa im Gasometer riesengroße Ravepartys abgehalten wurden), stand ein junger Journalist, der ein akribisches wissenschaftliches Interesse an dem Gehörten und Erlebten an den Tag legte: Ulf Poschardt, heute stellvertretender Chefredakteur der Welt-Gruppe und polarisierender bürgerlicher Autor mit Yuppie-Image, schrieb auf, was ihm zu Ohren kam und was man sich damals in die Plattenkisten steckte. Aus seiner Doktorarbeit wurde ein Kompendium, das zur popintellektuellen Branchenbibel geriet: "DJ Culture" lieferte nach seinem Erscheinen im Jahr 1995 das historische und theoretische Unterfutter zur Einordnung jenes Phänomens, bei dem Männer und Frauen hinter zwei oder mehr Plattentellern Techno- (oder Hiphop-)Alben ineinander mixten und damit ihr tanzendes Publikum in Ekstase versetzten. Der DJ entpuppte sich als treibende kulturelle Kraft der Popkultur.

Vergriffen

Poschardt hat das lange vergriffene Buch in aktualisierter Neuauflage nun wieder auf den Markt gebracht. Seine DJ-Geschichte, die von den 40er-Jahren über die schwarzen Hiphop-Pioniere der frühen Achtziger bis in die Hallen der Großraves reichte, ist um ein lesenswertes Vorwort Poschardts und eine ebenso wertvolle Nachbereitung durch die deutsche Techno-Legende Westbam erweitert worden. Aus den düsteren Clubs ist in den vergangenen 20 Jahren eine globale Gelddruckmaschine namens "Electronic Dance Music" (kurz: EDM) geworden.

Als die Handwerker die Popkultur retteten
Dj Culture
Die DJs schleppen keine Plattenkoffer mehr, sondern mixen auf Laptops und fliegen dafür mit dem Privatjet nach Ibiza. Nachdem der DJ in den 70ern ungefähr die Gehaltsstufe der Barleute erreichte, kassierte er in den 90ern das 50-fache. Heute gibt es keinen Mittelstand mehr, wie wir aus dem Buch lernen: Entweder Superstar oder unbedankter Soundverleger lautet die Devise. Das DJ-Zeitalter birgt jedoch auch die eine oder andere Genugtuung für die Kultur der Beats: Barack Obama, schreibt Poschardt, "ist der erste Präsident, der ohne Hiphop wohl nicht denkbar wäre." Wumm. Wumm.


Ulf Poschardt: „DJ Culture“. Aktualisiert und mit einem Nachwort von DJ Westbam. Tropen Verlag. 559 Seiten. 27,70 Euro.

Kommentare