An einem Abend konnte man unmöglich alle Szenen sehen, man entdeckte nur einige Facetten aus dem Leben der Muse und dem männermordenden Monster. Und so kam man immer wieder, das Stück war alsbald „Kult“.
Nach dem sechsten Jahr allerdings stand das Sanatorium nicht mehr zur Verfügung. Manker ging daher auf Weltreise: Er präsentierte die „Show“ an Orten, die mit Alma in Beziehung stehen, darunter in Lissabon, Los Angeles und Venedig. Mitunter kam er zurück nach Wien oder in die Umgebung. Einen Schlussstrich zu ziehen, vermochte er aber nicht. Längst war er der schillernden, sexsüchtigen Alma verfallen.
Im August 2018 fand in der Serbenhalle von Wiener Neustadt die 500. Vorstellung statt. Schon damals war klar, dass es ein 25-Jahr-Jubiläum werde geben müssen. Corona verhinderte dies vorerst. Also kam es erst jetzt dazu – am Freitag in der Belgienhalle am Stadtrand von Berlin. Dort zeigt Paulus Manker heuer erneut sein zweites Theaterereignis, „Die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus.
Fast wäre es doch nicht zur „Alma“-Wiederaufnahme gekommen. Denn Manker musste sich erst vor wenigen Tagen einer Operation unterziehen. Zudem hatte er sich ein Bein gebrochen. Aber aufgeben gilt nicht: Im Rollstuhl gab er über Funk seine Anweisungen. Und er ließ es sich nicht nehmen, nach der Pause humpelnd den Kokoschka zu spielen. Denn ein Cover für ihn: Das gibt es nicht. Seit der allerersten Vorstellung spielt Manker den Maler.
Zunächst verlief alles in gewohnten Bahnen. Ausgangspunkt ist der Geburtstag der unsterblichen Alma, der 143. mittlerweile: Ihre Verehrer (darunter Gustav Klimt), Liebhaber (darunter Alexander von Zemlinsky) und ihre drei Ehemänner erweisen ihr die Ehre. Schon bald hebt unter Mahler, Gropius und Werfel eine Debatte an, wer mit der „wahren“ Alma zusammen war.
Alle drei Frauen im Streifenkleid behaupten, die Echte zu sein. Sobol nimmt da Anleihen bei der „Ringparabel“. Und natürlich ist Alma alles zusammen, auch die Antisemitin, obwohl sie mit zwei Juden verheiratet war.
Die Almas Nummer 2 und 3 (Elisabeth Kofler und Claudia Kohlmann) kennt man bereits; mit Marie-Theres Müller als 20-jährige Draufgängerin, die dem Hofoperndirektor ordentlich die Meinung sagt, ist Manker wieder eine Entdeckung geglückt: Sie betört, sie schwärmt, sie verführt – und sie quält Mahler (Gregor Hellinger), wenn sie ihm das Verhältnis mit Gropius in Einzelheiten gesteht.
Nicht immer ist eine Alma im Mittelpunkt: Der Komponist zum Beispiel konsultiert Sigmund Freud. Und Christian Klischat verfällt herzzerreißend als „deutscher Schriftsteller“ Werfel, wenn er erfahren muss, dass seine Bücher im Nazi-Deutschland verboten wurden, weil er Jude ist. Dann bleibt nur mehr die Flucht nach Amerika.
Die Belgienhalle ist derart weitläufig, dass alle (auch für die „Letzten Tage“ genutzten) Schauplätze seitlich des Mittelschiffs liegen. Und Manker durfte Gleise verlegen. Zum Einsatz kommen wieder die Diesellok und der zur Showbühne umgebaute Waggon, der auch als Katafalk beim Begräbnis von Mahler dient. Nach dem Leichenschmaus gab es notgedrungen Umstellungen: Mankers erste Auftritte entfielen ersatzlos. Mit Krücken lässt sich Alma nicht vergewaltigen. Aber das Finale bestritt der Impresario:
Endlich ist die lebensgroße Puppe angekommen, die Kokoschka nach einem seiner Alma-Bildnisse – es hängt in einem der pittoresk eingerichteten Räume zwischen ausgestopften Tieren und beleuchteten Glasschränken – hatte anfertigen lassen. Sein Dienstmädchen Reserl soll das Paket öffnen. Der Inhalt entspricht nicht den Erwartungen: Die Haut ist aus Eisbärenfell gefertigt … Manker bricht fast zusammen. Aber er steht. Und alle jubeln.
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