Albertina: Neuer Direktor Gleis will "Museum von heute für Fragen von heute"

Albertina: Neuer Direktor Gleis will "Museum von heute für Fragen von heute"
Der Kunsthistoriker mit Wien-Vergangenheit, derzeit Direktor der Alten Nationalgalerie Berlin, folgt 2025 auf Klaus Albrecht Schröder.

Ralph Gleis wird ab 2025 Generaldirektor der Albertina in Wien: Das gab Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) am Mittwoch bekannt. Der demnächst 50-jährige Kunsthistoriker - er wurde am 9. August 1973 in Münster geboren -  wird die Nachfolge von Klaus Albrecht Schröder übernehmen, dessen Vertrag Ende 2024 ausläuft. 

Das "Lebenswerk" von Klaus Albrecht Schröder

Das gab Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer am Mittwoch bekannt. Sie dankte zuerst „dir, lieber Klaus Albrecht Schröder. Die Albertina als eines der wichtigsten Kunstmuseen der Welt, diese Albertina im Jahr 2023 ist nichts anderes als dein Lebenswerk“. Sie dankte ihm in der Professionalität bezüglich der „nahtlosen und konstruktiven“ Nachfolge. Gleis sei eine von zwei Personen gewesen, die die Findungskommission ihr uneingeschränkt empfohlen habe. Die Albertina habe sich zu "einem wahren Mekka der Kunst" entwickelt, von allen Bundesmuseen seit der Ausgliederung habe sie sicherlich die größte Entwicklung durchgemacht.

Mayer sagte, dass die Albertina nach dem Entwicklungskurs Schröders das Tempo nun "behutsam senken" müsse - wegen der neuen Kostenfragen, die die Museen betreffen. Gleis versprühe eine "Aura der Professionalität und eine Begeisterung für die Albertina". Er habe Ideen formuliert, neues Publikum anzusprechen und einzuladen.Und er habe Kooperationspotenziale mit den anderen Bundesmuseen angesprochen - was Mayer als Eigentümervertreterin "besonders freut". Und auch "kein Fehler" sei das "kaufmännische Gespür" von Gleis.

 

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"Die Albertina war immer ein ganz besonderer Ort"

Für Gleis war die "Albertina war immer ganz besonderer Ort" der Begegnung. "Wer die Albertina heute liebt, wird sie weiter lieben", versprach er. Für die anderen wolle er "die Möglichkeit der Entdeckung schaffen". Es sei sein Ziel, mit "visionärer Kraft neue Impulse für die Albertina zu setzen", um die Strahlkraft "noch weiter zu steigern". Diese sei ein "dynamisches Kraftfeld" in der österreichischen Museumslandschaft und ein "international renommiertes und viel besuchtes" Ausstellungshaus. Dies berge nun die Herausforderung, die "Tragfähigkeit dieses Erfolgskonzepts zu überprüfen".

Er wolle das Museum "gesellschaftlich öffnen" und eine Sammlungsstrategie für das 21. Jahrhundert vorantreiben. Auch die künftige ökonomische und ökologische Tragfähigkeit sei eine Herausforderung. "Wir müssen uns die Frage stellen: Wie kann die Albertina zukünftig nachhaltig agieren und zugleich ein Publikumsmagnet bleiben?" Ziel ist, "ein Museum von heute für die Fragen von heute" zu haben. Er plane ein "Kompetenzzentrum für Kunst auf Papier", auch, um "das allgemeine Verständnis für diese sensible Kunstgattung zu fördern". Er wolle das Museum "diverser, agiler" und als "Freiraum für Gedankenexperimente" denken.

Zu den Expansionsplänen Richtung Essl-Museum meinte er: "Da sind wir noch einen Schritt davor, da geht es um interne Gespräche und auch mit der Kunststaatssekretärin. Da schauen wir, wie der Start dort gelingen kann."

Zum von Mayer angesprochenen Thema "vom Tempo runtergehen" meinte er: "Wir sind gesellschaftlich in einem Moment, in dem wir sehen, dass Dinge, die wir als gegeben gesehen haben, einfach nicht mehr funktionieren. Darauf muss man als Museum reagieren."

RALPH GLEIS ÜBERNIMMT 2025 DIE LEITUNG DER ALBERTINA

Gleis' Wien-Verbindungen reichen allerdings weiter zurück: Nach seiner Ausbildung in Münster, in Köln und in Bologna, wo er Kunstgeschichte, Geschichte und Soziologie studierte, führte ihn sein Weg zunächst ans Deutsche Historische Museum Berlin und weiter nach Antwerpen. 2009 kam er schließlich ans Wien Museum, wo er als Kurator intensiv mit der Geschichte an der Kippe vom 19. zum 20. Jahrhundert auseinandersetzte.

An der Seite von Wolfgang Kos kuratierte er etwa 2013 die - angesichts des heurigen 150-Jahr-Jubiläums wieder aktuelle - Schau "Experiment Metropole" zur Wiener Weltausstellung 1873 und der damit einhergehenden Modernisierung der Stadt. Bei der Schau zum Phänomen des "Malerfürsten" Hans Makart war Gleis führend involviert. Auch an denkwürdigen Schau "Kampf um die Stadt" (2009/'10), die die gespaltene Gesellschaft Wiens um 1930 thematisierte, war er involviert.

Wiener Aushängeschild

Einen Vorgeschmack auf Gleis' kuratorisches Geschick wird das Wiener Publikum bereits im Mai 2024 bekommen: Dann zeigt das Wien Museum nämlich die Schau "Secessionen - Klimt, Stuck, Liebermann" über künstlerische Erneuerungsbewegungen um 1900, die Gleis gemeinsam mit Ursula Storch, Vizedirektorin des Wien Museums, kuratierte. Derzeit ist die Ausstellung in der Alten Nationalgalerie Berlin zu sehen, die Gleis seit 2017 leitet - erst im Vorjahr wurde er dort aber offiziell zum "Direktor" berufen. Mit dem Klimt-Gemälde "Judith" aus dem Belvedere ist dort ein wahres Wiener Aushängeschild zu sehen.

Auge für die Gegenwart - und fürs Publikum

Auch nach seinem Wechsel nach Berlin bewies Gleis ein Gespür dafür, historische Exponate an Gegenwartsphänomene anzubinden. "Wanderlust" (über die Sehnsucht von Künstlern nach der Natur im 19. Jahrhundert, 2018) oder "Kampf um Sichtbarkeit - Künstlerinnen der Nationalgalerie vor 1919" (2019/'20) hießen Publikumserfolge, die auch bei Fachkollegen Anklang fanden.

Zuletzt (2022) nahm sich die Nationalgalerie unter Gleis dem Jahrhundertgenie Paul Gauguin und dessen an, der wegen seinem kolonialen, exotisierenden Blick auf die Südsee (und der unter diesen Voraussetzungen praktizierten sexuellen Ausnutzung von teils minderjährigen Personen) in die Kritik gelangt war: "Paul Gauguin - Why Are You Angry?" konnte ebenfalls Zuspruch verbuchen. Für die Albertina, die mit Klassisch-Modernen Schätzen von Monet bis Picasso sowie mit großen Beständen der Epoche Wien um 1900 auftrumpft, dürfte Gleis gewiss auch einige Ideen haben.

 

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