Ai Weiwei: "Sie sagten: Das ist eine Strafe"

Ai Weiwei: "Sie sagten: Das ist eine Strafe"
Ai Weiwei ist der bekannteste Regimekritiker Chinas. Im Juni wurde er gegen Kaution freigelassen. Der KURIER traf ihn in Peking.

Ein Gespräch mit ausländischen Medien ist für den weltbekannten Künstler Ai Weiwei ein beträchtliches Risiko – doch er nimmt es bewusst in Kauf.

Ai Weiwei: "Sie sagten: Das ist eine Strafe"

KURIER: Herr Ai Weiwei, ich konnte eben ohne Schwierigkeiten, ohne kontrolliert zu werden, zu Ihnen in das Atelier kommen. Unter welchen Auflagen stehen Sie derzeit?
Ai Weiwei:
Ich habe neun verschiedene Auflagen. Ich kann mich gar nicht an alle erinnern. Ich soll mich nicht aktiv im Internet engagieren; ich soll nicht mit der ausländischen Presse reden; ich soll nicht darüber reden, was während der 81 Tage, an denen ich heuer festgehalten wurde, passiert ist; ich soll die Regierung nicht kritisieren. Dann darf ich natürlich Peking nicht verlassen. Jeden Schritt, den ich tue, muss ich den Behörden melden. Wenn ich im Park spazieren gehen will, wenn ich meinen Sohn sehen will, oder wenn ich zum Mittagessen gehe, alles muss ich melden.

Sie brechen diese Auflagen ständig, sprechen jetzt mit der ausländischen Presse. Bringt Sie das nicht in große Gefahr?
Ich betrachte diese Verletzungen als Teil meiner Rechte. Ich habe gerade wieder einmal in der chinesischen Verfassung gelesen. Worüber ich zum Beispiel mit ausländischen Journalisten rede, diese Anschuldigungen gegen mich, das sind keine politischen Themen, sondern da geht es um mich. Das ist meine Angelegenheit. Wissen Sie, die Regierung wirft mir vor, Steuern hinterzogen zu haben. Damit muss ich irgendwie umgehen. Also habe ich beschlossen, mich auf meine Rechte zu berufen und diese zu nutzen. Sonst würde es ja so aussehen, als würde ich dieses Verbrechen der Steuerhinterziehung eingestehen. Das habe ich aber nie begangen.

Wo stehen Sie in der Steuer-Angelegenheit? Sie haben kürzlich Geld auf ein Konto eingezahlt, stellt das die Behörden nun zufrieden?
Das chinesische Recht sieht so aus, dass man das Geld bezahlen muss und erst dann Einspruch erheben kann. Wir haben also vor ein paar Wochen eine erste Kaution bezahlt und können jetzt Widerspruch einlegen. Dafür haben wir noch gut 20 Tage Zeit. Wenn der Einspruch abgelehnt wird, können wir vor Gericht gehen.

Sie sagen, die Steuervorwürfe seien haltlos. Haben Sie mittlerweile irgendwelche Beweise einsehen können?
Die Vorwürfe richten sich nicht direkt gegen mich, sondern gegen die Firma Fake Company, bei der ich als Designer angestellt bin. Aber davon unabhängig: Sie sind ohne Beweise. Bei Steuerangelegenheiten ist es eigentlich nicht nötig, dass die Polizei kommt und Mitarbeiter mitnimmt. Man packt nicht die Originalunterlagen ein. Und man sperrt auch nicht den Buchhalter ein und verbietet ihm, mit mir zu sprechen. Ich kann ja nur rausfinden, was an der ganzen Sache dran ist, wenn ich mit ihm reden kann. Aber so weiß ich das nicht.

Was sind Ihrer Meinung nach die wirklichen Absichten der Regierung?
Sie haben mir während meiner Haft ganz deutlich gesagt: Es geht um deine Kritik an der Regierung. Du redest zu viel mit ausländischen Medien. Sie sprechen von Untergrabung der Staatsgewalt. Dann haben sie noch andere Felder angeführt, Pornografie und Steuerhinterziehung. Aber in ihren eigenen Worten haben sie mir ganz deutlich mitgeteilt: Das ist eine Strafe, eine Rache, wir wollen dich und deinen Ruf zerstören. Wir wollen, dass die Leute dich für einen Lügner halten. Sie sind damit sehr offen umgegangen. Ich war fassungslos.

Woher rührt diese Haltung der Regierung?
Ich glaube, es besteht eine gewisse Frustration. Da ist dieser Künstler, der ganz offen kritisiert und immer wieder Lärm macht. Und sie wissen nicht, was sie dagegen machen sollen. Also greifen sie auch bei mir zu den Maßnahmen, mit denen sie normalerweise die Leute zerstören: Sie verprügeln sie, sie zerstören ihr Haus. Sie sperren sie klammheimlich unter harschen Bedingungen ein. Und sie brummen ihnen eine kräftige Steuernachzahlung auf. Normale Leute können das nie aushalten, sie brechen darunter zusammen.

Wieso brechen Sie nicht zusammen?
Man hat ja schon mehrmals versucht, mich kleinzukriegen. Aber ich verschwinde einfach nicht. Ich mache weiter meinen Standpunkt deutlich und versuche den Menschen zu zeigen, worum es mir geht. Ich meine, wenn wir aufgeben, dann sind wir Teil des Verbrechens.

Ungefähr 30.000 Chinesen haben Sie während der letzten Wochen unterstützt und Ihnen Geld geliehen. Insgesamt ist eine Million Euro zusammengekommen. Sind das Anzeichen einer wachsenden Zivilgesellschaft?
Ich finde schon. 30.000 Leute haben innerhalb einer Woche reagiert und Geld gegeben. Ich konnte das kaum glauben. Ich habe oft das Gefühl, meinen Weg ganz alleine zu gehen, obwohl es potenzielle Unterstützer gibt, aber die kenne ich ja meist nicht. Aber diese Leute, die jetzt Geld geliehen haben, die haben kurze Nachrichten für mich dagelassen. Da stand dann: Das Geld ist für Sie, wir kennen Sie, und wir wissen, was Sie tun. Und wir wollen den Behörden mitteilen, dass sie in diesem Fall scheitern werden.

Sie wurden im April in Gewahrsam genommen und fast drei Monate rund um die Uhr von Polizisten bewacht. Die blieben Ihnen permanent an der Seite, beim Schlafen, beim Duschen, selbst beim Gang zur Toilette. Wie gehen Sie mit dieser Erfahrung um?
Es war eine sehr einzigartige Erfahrung für mich, die viel über extreme Umstände lehrt. Es ist eine Situation, in der dich kein Gesetz beschützt. In der niemand irgendwas über dich weiß. Auch du bist völlig von allem außerhalb abgeschnitten. Du kannst nicht einmal zu den Soldaten sprechen. Unter solchen Bedingungen wird jeder in kurzer Zeit äußerst verletzlich. Es gibt keinerlei Menschlichkeit, keine Kommunikation. Zeit und Ort werden zu einer seltsamen, extremen Erfahrung des Überlebens.

Was hat Ihnen Kraft und Hoffnung gegeben?
Ich weiß es selbst nicht so genau. Viele Leute fragen mich, warum machen Sie überhaupt weiter? Aber ich glaube, wenn ich meine Stimme nicht hörbar mache, wenn ich mich nicht so verhalte, wie ich es für richtig erachte, dann bin ich tot – auch wenn ich mich in einem menschlichen Körper befinde. Ich würde mich als tot empfinden. Und das hat auch nichts mit künstlerischem Ausdruck zu tun. Ich glaube, jeder Mensch sollte immer so handeln und zeigen, dass er lebendig ist. Ich hatte jetzt die Möglichkeit, diese Erfahrung zu machen. Aber ich habe auch die Verantwortung, weiter meine Meinung zu sagen.

Haben Sie in Ihrer Situation manchmal Angst?
Ich habe ein schwieriges Leben, das muss ich aushalten. Angst habe ich eigentlich keine. Obwohl die ganze Angelegenheit schon angsteinflößend ist.

 

Ai Weiwei: "Sie sagten: Das ist eine Strafe"

Ai WeiWei Bild
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Der Künstler: Ein aufmüpfiges Multitalent

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"Ai Weiwei ist ein hochbegabter Mensch auf jedem Gebiet", sagt Christine König. Die Wiener Galeristin zeigte im Herbst 2010 erstmals jene Fotos und Videos, mit denen der Künstler – lange vor seiner Verhaftung im Frühjahr – seine Überwachung und Drangsalierung durch Behörden dokumentierte.

Ais Ruf als Künstler gründet aber nicht allein auf seinem politischen Aktivismus – für König ist er durch seine Vielfalt der Prototyp eines zeitgemäßen Künstlers, bei dem die Grenzen zwischen Architektur, Design, Kunst und sozialem Engagement verschwimmen.

Ais Skulpturen muten mitunter fast traditionell an – derzeit tourt etwa der „Circle of Animals“, Bronze-Repliken chinesischer Tierkreiszeichen, durch die Welt. Doch traditionelle Formen verweisen bei Ai stets auf historische Ereignisse – im Fall der Tiere auf die Plünderung eines chinesischen Schreins durch Briten und Franzosen 1860.

Dass Ai oft verschwiegene Aspekte China in alle Welt trägt, ist zentraler Hintergedanke seiner Werke – und eine Reibefläche für das offizielle China.

Ein Kulturtransfer anderer Art hatte Ai 2007 berühmt gemacht: Damals ließ er 1001 junge Chinesinnen und Chinesen zur documenta 12 nach Kassel einfliegen – darunter viele, die ihr Land noch nie verlassen hatten. Einen traurigen Unterton hatte 2009 seine Aktion „Remembering“, für die Ai 9000 Kinderrucksäcke am Münchner Haus der Kunst montieren ließ: Sie erinnerten an die Opfer des Erdbeben in Sezuan 2008. 2010 ließ der Künstler einen Felsen, der sich beim Beben gelöst hatte, auf den Gipfel des Dachsteins transportieren.

In Österreich widmete sich zuletzt das Kunsthaus Bregenz Ais architektonischem Werk. Im Kunsthaus Graz ist noch bis zum 5. Februar 2012 eine große Ausstellung mit den Foto- und Videoarbeiten des Künstlers zu sehen.

Zur Person: Kritiker & Künstler Ai Weiwei

Werdegang: Ai Weiwei wurde am 28. August 1957 in Peking geboren. Durch die 20-jährige Verbannung seines Vaters, des Dichters und Malers Ai Qing, wuchs er in der Mandschurei und in Xinjiang auf. Ab 1978 studierte er an der Pekinger Filmakademie. 1979 Gründungsmitglied der Künstlergruppe Stars Group. 1981–1993 lebte er in den USA und beschäftigte sich mit Performance, Konzeptkunst und studierte Design. Seit 1994 lebt er im Pekinger Kunstbezirk Dashanzi. Verheiratet mit Lu Qing.

Engagement: Wegen regierungskritischer Äußerungen – etwa nach dem Erdbeben in Sichuan 2008 – ist Ai Weiwei seit Jahren Repressionen ausgesetzt. Zuletzt saß er von April bis Juni in Haft. Gegen ihn laufen Verfahren wegen Steuerhinterziehung und Pornografie.

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