95. Oscarverleihung: Die Rückkehr des großen Kinos
Die Sci-Fi-Komödie „Everything Everywhere All at Once“ und seine (asiatischen) Darsteller waren die großen Abräumer; ein Comeback-Abend der großen Gefühle, der Gala-Show und des Kinos
Hollywood liebt seine Comeback-Geschichten. Und so stand auch die 95. Oscarpreisverleihung ganz im Zeichen der Comebacks – von Schauspielern und Schauspielerinnen, von Gastgeber Jimmy Kimmel, von der (schrägen) Komödie als preiswürdiger Unterhaltungsform, von der Oscar-Gala, wie wir sie kennen. Und vom Kino selbst: „Danke an alle, die unseren Film im Kino gehört und gesehen haben“, sagte der Sound-Mann Al Nelson gerührt, als er für „Top Gun: Maverick“ den (einzigen) Oscar für besten Ton im Empfang nahm.
Die Show fand – im Gegensatz zum Vorjahr – zu ihrer traditionellen Zeremonie zurück. Alle Oscar-Preise, und nicht nur die „wichtigsten“, wurden wieder live vergeben. Hatten die Pandemie und der Faustschlag von Will Smith zuletzt für Anspannungen bei den Verleihungen gesorgt, herrschte diesmal wieder friedfertige Feelgood-Stimmung. Die Dankesreden der Gewinner und Gewinnerinnen zeichneten sich durchwegs durch große Gefühle, Tränen und Danksagungen an (verstorbene) Väter und Mütter aus.
Jimmy Kimmel verbiss sich gröbere Seitenhiebe, abgesehen davon, dass er die Abwesenheit von Filmen Schwarzer Filmemacherinnen vermerkte und mangelnde Diversität mit dem ironischen Satz lobte: „Wir haben Darsteller aus allen Ecken von Dublin hier.“
Flüchtlingscamp
Tatsächlich aber kamen heuer besonders die Vertreter und Vertreterinnen der asiatischen Community zum Zug. Sie alle spielten in der Multiversum-Erfolgskomödie „Everything Everywhere All at Once“: Der Star des Hongkong-Kinos und der Martial-Arts-Künste, Michelle Yeoh, erhielt als erste asiatische Darstellerin den Preis als beste Schauspielerin in einer Hauptrolle: „Mamas sind Superhelden“, strahlte Michelle Yeoh und appellierte an alle Frauen, sich niemals sagen zu lassen, sie hätten ihre besten Jahre schon hinter sich.
An ihrer Seite feierte der in Vietnam geborene Ke Huy Quan sein Comeback als bester Nebendarsteller, nachdem er erste Erfolge als Kinderdarsteller in Steven Spielbergs „Indiana Jones und der Tempel des Todes“ und „Die Goonies“ gefeiert hatte. Auch seine Dankesrede stach durch große Emotionalität hervor: „Meine Reise hat in einem Boot begonnen, ich habe ein Jahr in einem Flüchtlingscamp verbracht. Und irgendwie habe ich es hierher geschafft, auf Hollywoods größte Bühne. Das ist der amerikanische Traum“.
Ansagen wie diese fühlten sich in der weitgehend unpolitisch ausgerichteten Oscar-Gala ganz besonders politisch an. Übrigens erinnerte auch eine blaue Schleife an das Schicksal von Flüchtlingen, die gut sichtbar am Revers von einigen Stargästen der Gala getragen wurden. Der Cast des deutschen Erfolgsfilms „Im Westen nichts Neues“ (siehe Artikel rechts oben), darunter Daniel Brühl, der österreichische Burgschauspieler Felix Kammerer, Regisseur Edward Berger, aber auch Cate Blanchett und Guillermo del Toro trugen das Solidaritätsabzeichen #WithRefugees, das auf eine Kampagne des UN-FlüchtlingshilfswerkS UNHCR zurückgeht.
Hipster-Hollywood
Zu dem Sieger-Duo Michelle Yeoh und Ke Huy Quan gesellte sich Jamie Lee Curtis mit einem Oscargewinn als beste Nebendarstellerin – ebenfalls in „Everything Everywhere All at Once“. Mit Blick Richtung Himmel gedachte sie in ihrer Dankesrede ihrer berühmten Eltern Janet Leigh und Tony Curtis, die für Oscars nominiert worden waren, aber nie einen erhielten:
Schließlich wurden auch die beiden Regisseur von „Everything Everywhere All at Once“ ausgezeichnet: Daniel Kwan und Daniel Scheinert erhielten Oscars für beste Regie und besten Film. Denn der Abräumer des Abends hieß eindeutig „Everything Everywhere All at Once“ und wurde mit insgesamt sieben Oscars mit Preisen überhäuft.
„Everything Everywhere All at Once“ verhalf nicht nur asiatisch-stämmigen Schauspielern und Schauspielerinnen zu neuer Sichtbarkeit, sondern signalisierte auch frischen Wind in der Auswahl der Academy und ihrer Mitglieder: Hipster-Hollywood setzte sich mit seinem Hipster-Studio A24 gegen die traditionellen Studios und ihre alteingesessenen Legenden durch. Großkaliber wie Steven Spielberg und seine Kindheitserinnerung in „Die Fabelmans“ gingen beispielsweise komplett leer aus. Zudem hatte A24 großes Vertrauen in das Publikum gesetzt und seinen Film ungewöhnlich lang in den Kinos belassen.
Nawalny und Österreich
Die für besten Schnitt für das #MeToo-Drama „Tár“ nominierte österreichische Cutterin Mona Willi ging leer aus. Dafür konnten sich drei weitere Österreicher zumindest indirekt über den Oscarabend freuen: Niki Waltl, Simon Fraissler und Daniel Dajakaj standen hinter der Kamera der Doku „Navalny“, die als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde.
„Navalny“ von Regisseur Daniel Roher begleitete den russischen Oppositionellen Alexej Nawalny, der 2020 fast einem Giftanschlag zum Opfer gefallen wäre und jetzt im Gefängnis in Einzelhaft sitzt. Teile der Doku entstanden in Wien, wo damals Christo Grozev von der Aufdeckerplattform Bellingcat lebte, ehe er aus Sicherheitsgründen das Land verlassen musste. Die Preisvergabe an „Navalny“ zählte zu den politischsten Momenten des Oscar-Abends.
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