150 Jahre Staatsoper: Tex Rubinowitz war für uns zum ersten Mal in der Oper

150 Jahre Staatsoper: Tex Rubinowitz war für uns zum ersten Mal in der Oper
Keine Angst vor Verdi: Bachmann-Preisträger Text Rubinowitz schildert hier seine Eindrücke.

Im Englischen gibt es eine Redewendung, die bedeutet, dass man sich nicht einbilden soll, man wüsste, wie eine Sache ausgeht, die noch andauert („It ain't over till the fat lady sings“).

Der Satz hat seinen Ursprung in der Oper, vermutlich Wagners „Ring des Nibelungen“, irgendeine übergewichtige Sopranistin, deren Abschiedsszene 20 Minuten, das Ende der Welt ankündigend, dauert, und vielleicht kann man diesen Satz aus dem Alltag wieder in die Oper zurückführen, um einen Opernnovizen wie mich zu beruhigen, „So lang die dicke Frau noch singt, ist die Oper nicht zu Ende“.

Die Antwort auf meine mir selbst in Not gestellte Frage, die Frage eines Menschen, der noch nie in seinem Leben in der Oper war, der nicht mal genau weiß, was Oper überhaupt ist und soll, der möglicherweise Angst vor der Oper hat, der auch nicht weiß, was man in der Oper anzieht, der sich aber dieser Erfahrung einmal in seinem Leben stellen möchte, ganz unvoreingenommen und mutig, andere springen mit dem Fallschirm aus dem Flugzeug oder fangen an zu töpfern, ich geh eben in die Oper.

Die Vorbereitung

Ich frage einen opernaffinen Freund, der ausgerechnet Klingeltonkomponist ist, so bezeichnet er sich ganz pragmatisch, und der weiß, dass ich eine sehr große Schwäche für ABBA habe, Musik, künstlich wie verchromte Sprühsahne, ob er mit mir einen Opernschnellkurs machen könnte, er sagt, als ich ihm erzähle, dass ich ein selten gespieltes Stück von Verdi namens „Macbeth“ für mein Debüt ausgewählt habe: „Von den großen Vier (Verdi, Wagner, Puccini, Strauss) ist Verdi der mit den Superhits. Verdi ist ABBA der Oper. Tatsächlich gibt es ungefähr so viele Verdi-Opern wie ABBA-Singles. Nabucco ist der erste Erfolg (also Waterloo) und Rigoletto der internationale Superhit (also Dancing Queen). Macbeth ist dazwischen, also Mamma Mia.“

Auch berichtet er, dass Verdi stets den Applaus mit hinein komponiert hat. Ich solle drauf achten, wie am Ende der Arien immer so eine leere Stelle ist, in die ein bisschen hineingeklatscht werden kann. Dafür wäre Puccini sich zu fein, Wagner sowieso, von Strauss ganz zu schweigen. Und bei Strauss dachte ich, dass das der mit den Mitklatschnummern ist, aber es scheint, als hätte ich eine Richard-Johann-Verwechslungsschwäche. Und ein weiteres Detail erklärt mir der Freund, dass bei Verdi mindestens immer eine Harfe dabei wäre, obwohl man sie nie hören würde. Wahrscheinlich gibt es Verdi-Opern mit Harfe, bei der sie lediglich eine oder zwei Noten spielt, und dann kann die Harfe wieder nach Hause gerollt werden, bis zu den ein oder zwei Noten am nächsten Tag.

Das klingt ja schon mal nach einer Aufgabe, auf die Klatschpausen und die Harfe achten. Und das mit der Kleiderfrage habe ich auch schnell und schmerzlos geklärt, ich gehe in meiner japanischen Schuluniform, weil ich mich ein bisschen wie ein Schüler fühle. Letztens, in der U-Bahn, haben mich zwei ältere, circa siebzigjährige Damen ununterbrochen, aber schüchtern angeschaut und immer wieder weggeschaut, wenn ich zurückgeschaut hab, tuschelnd wie zwei Teenager, und als sie ausstiegen, sprach ich sie einfach an: „Ich weiß, was sie wissen wollen, ich antworte Ihnen: Es ist eine japanische Schuluniform“, da strahlten beide wie zwei Mädchen vorm ersten Rendezvous, die eine meinte: „Wir tippten auf Bergmannuniform.“ Und ich rechnete mit weiteren Tuschelungen in der Oper, oder mildem Entsetzen etwaiger, schultraumatisierter Japaner.

Das Betreten des Hauses

Ich betrat also die Staatsoper, das erste was mir auffiel, dass man kaum Japaner, aber dafür sehr viele Russen sehen konnte, erkennbar an ihren grotesk aufgebrezelten Kindern, den armen, für die muss so eine Oper eine Folter sein, und es nützt nichts, dass die Mädchen riesige rosafarbene Schleifen im Haar haben, und ihnen gesagt wird, sie sehen aus wie Prinzessinnen und die Jungs wie Männer oder Mafiosi zurechtgemacht sind, sie werden leiden, bis einer weint, und die Eltern sind es nicht, aus Langeweile weint man nicht.

150 Jahre Staatsoper: Tex Rubinowitz war für uns zum ersten Mal in der Oper

Ich saß in einer Loge, mit lauter Russen, links oben irgendwo, und dachte, damit ist man privilegiert, aber das muss es gar nicht, ich saß zwar vorne, aber nach der Pause tauschte ich mit einer schnittlauchhaarigen Russin im Sackkleid, die hinter mir saß, aus Mitleid die Plätze, und ab da sah ich gar nichts mehr, und nur zu hören, geht irgendwie auch nicht, weil der Raum, die Gedanken, der Abend, und vor allem die Schuluniform, aus einem synthetischen Stoff, und also sehr warm wurde, von allem ablenken.

Die Aufführung

Um was es in „Macbeth“ geht, hätte ich googeln können, wollte es aber nicht, es ist viel Blut, Verrat, Ränke und Ranküne im Spiel, vermutlich alles Metaphern, auf unsere heutige Gesellschaft umlegbar, aber ich glaube, ich bin nicht der einzige Ahnungslose hier gewesen, die Sprache versteht man sowieso nicht, was aus dem Englischen von Shakespeare ins Italienische übertragen wurde und von einem Armenier (Ayk Martirossian als der Spion in dem Stück) oder einem Chinesen (Jinxu Xiahou als Macduff) gesungen wurde, verstehen vermutlich selbst ihre Kollegen auf der Bühne nur mit Mühe, und der Großteil der Zuschauer schon gar nicht, aber das ist kein Vorwurf, es gibt ja bei der Oper noch andere Ebenen, die Musik, die Ausstattung und die Bühne.

Und die haben mich einfach umgehauen, ich war von mir selbst überrascht, wie sehr mir das alles gefallen hat, der Chor der Hexen war großartig, tolle Kostüme, so überlange Militärmäntel, was für eine gute Idee, ein bisschen sogar wie Christoph Marthaler, überhaupt die gigantische Bühne, große brutalistische Wände, an Richard Serra erinnernd, an Staudämme, und das sensationelle Licht, das neue Räume öffnet, sogar kleine Zaubertricks, Schatten lösen sich von ihren Körpern und gehen Treppen hoch.

Ich konnte gut in den Orchestergraben sehen, zumindest im ersten Teil, vorm Platztausch, leider stand die Harfe auf der nicht einsehbaren Seite, aber drei Perkussionisten, einer mit sehr seltenen Einsätzen, der Mann mit dem Becken, er muss sich fürchterlich gelangweilt haben, man denkt sich immer: was macht der eigentlich beruflich? Die zwei Bratschisten, Frau und Mann, aber haben in jeder nur denkbaren Pause miteinander getuschelt, eindeutiges Flirten, während die anderen Musiker nur jeder für sich konzentriert ihren Part gespielt haben, leidenschaftslos wie mir schien.

Alles in allem habe ich es mehr als genossen, und so weit weg von Mamma Mia war es gar nicht. Auf die Schuluniform hat mich niemand angesprochen.

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