100.000 Gratisbücher: Interview mit Stewart O'Nan

100.000 Gratisbücher: Interview mit Stewart O'Nan
Stewart O’Nans "Letzte Nacht" wird gratis verteilt. Die Aktion "Eine Stadt. Ein Buch" holte den Amerikaner nach Wien . Der KURIER interviewte ihn.

KURIER: Manny ist, wie viele ihrer Romanhelden, ein Mann aus dem Volk, dem man als Leiter eines Lobster-Imbisses wegen Unprofitabilität das Restaurant zudreht. Sind die kleinen Leute interessanter als die Reichen?

Stewart O’Nan: Nun, Manny ist nicht der prototypische Held, das ist wahr. Er ist wie wir. Die meisten von uns sind eben keine Superhelden, die Außergewöhnliches zustande bringen, sondern nur kleine Helden. Das wird in der Kunst und Literatur unserer Zeit viel zu wenig beachtet. Ich frage mich, warum wir Teenager-Vampire spannender finden als das, was um uns herum passiert. Wir sind doch alle auf unsere Art interessant. Meine Lieblingsschriftsteller sind Tschechow und Shakespeare: Die schreiben über alle Menschen – über Mächtige und Hilflose, Reiche, Arme, Alte, Junge.

In "Letzte Nacht" machen Sie klar, dass heutzutage immer alles Profit abwerfen muss. Das Lokal wirft nicht genug Kohle ab? Gut, dann schließen wir es. Ist das Ihre Art der Kapitalismuskritik?

Der beinharte Kapitalismus ist der Rahmen für das Buch. Das Buch habe ich ja während der Bush-Ära 2006 geschrieben und schon da galt: Wenn du kein Geld bringst, bist du nicht nützlich. Aber ich wollte mich nicht auf diesen negativen Aspekt fokussieren. Das Herz des Buchs ist Manny mit seinem Pflichtbewusstsein und seiner Herzenswärme an diesem letzten Tag mit den Kollegen im "Red Lobster".

Sie sind gut befreundet mit Stephen King und haben sogar ein Buch über Baseball mit ihm geschrieben, "Faithful". Wie haben Sie einander gefunden?

1996 habe ich einen Roman mit dem Titel "Dear Stephen King" geschrieben und hatte binnen kürzester Zeit Stephens Anwälte am Hals. Die haben mächtig Druck auf den Verlag gemacht, das Buch aus dem Programm zu nehmen. Da habe ich mich eines Tages hingesetzt und Stephen einen Brief geschrieben, was das eigentlich soll. Treffen wir uns und reden und lassen die Verlagstypen und die Juristen links liegen. Er ließ sich von mir überzeugen und seither sind wir Freunde. Wir gehen noch immer gemeinsam zu Baseball-Spielen.

Kommen Sie gerne nach Europa?

Oh ja. Was ich an den Städten hier schätze, ist, dass sie funktionieren. In den USA fallen ja wegen der sinkenden öffentlichen Gelder für Infrastruktur und Soziales die Städte mehr oder weniger auseinander. Das Schulsystem ist katastrophal, der öffentliche Verkehr kollabiert – hier funktioniert das gut. Aber klarerweise muss man einen Preis dafür zahlen: Wien ist im Vergleich zu Pittsburgh, wo ich lebe, eine extrem teure Stadt. Nicht so teuer wie Seattle oder San Francisco, aber schon sehr teuer. Wissen Sie eigentlich, dass San Francisco inzwischen die teuerste Stadt der USA ist? Wegen dieser ganzen stinkreichen Silicon-Valley-Typen.

Und politisch? Gibt es da noch Gemeinsamkeiten?

Die USA und die Europäer haben gerade ein ähnliches Problem, den Populismus. In Amerika gibt es zwei Blöcke, die sich annähernd gleich stark gegenüber stehen und sonst nichts. The winner takes it all! Ein Wechsel findet nur periodisch zwischen Demokraten und Republikanern statt. Die jeweiligen Verlierer können nur hilflos zusehen. Das Zweiparteiensystem ist die Krux Amerikas.

Ist Trump auch eine Krux?

Er ist nicht interessiert am Rest der Welt – höchstens an Handelsvorteilen für Amerika. Das wichtigste Land der Welt ist ohnehin schon China, das sind nicht mehr die USA, also braucht Trump das ganze Großmachtgetue nicht mehr. Der US-Dollar wird heute von der Industrie Chinas gestützt. Alles verändert sich derzeit im Weltengefüge und man weiß noch nicht, wohin das führen wird. Aber Donald Trump führt uns nirgendwo hin, das steht fest.

***

Stewart O'Nan diskutiert am 9. November um 14 Uhr auf der Buch Wien mit Ö1-Redakteur Wolfgang Popp (ORF-Bühne). Am 10. November diskutiert er mit dem Publikum - Wien Energie-Welt, Spittelauer Lände 45. Die Veranstaltung beginnt um 19.30 Uhr. Der Eintritt ist frei. Zählkarten sind aber erforderlich und im Shop der Energie-Welt erhältlich (Donnerstag 8 bis 17.30 Uhr, Freitag 8 bis 15 Uhr)

Weitere Informationen, zum Beispiel über jene Stellen, an denen die Gratisbücher verteilt werden:

http://einestadteinbuch.at/

Kommentare