Wiener und andere ungebetene Gäste

Warum man Selbstgenügsamkeit ausgerechnet in Wiens schönstem Weinort lernen kann
Barbara Beer

Barbara Beer

Sie bereiste die Welt. Russland, Amerika, Frankreich. Sie blieb –  in Sievering.  
Lina Loos, gebürtige Obertimpfler, Tochter des Cafétiers Carl Obertimpfler, Pächter des Grand Café Casa Piccola am Fuße der Mariahilfer Straße, war Schauspielerin, Kabarettistin und pointierte Feuilletonistin. 
Außerdem eine der begehrtesten Schönheiten der Stadt und in ihrer Jugend kurz mit Adolf Loos verheiratet. Dies kann nicht unerwähnt bleiben, schließlich verdankt sie ihm den eindeutig attraktiveren Familiennamen. Wie diese Beziehung begann und vor allem endete, füllt heute noch Literatur- und sonstige Archive, die Gesellschaftsreporter unserer Tage würden sich die Hände reiben, hätten sie derartiges Material zur Verfügung. Talent und Esprit hatte Lina Loos allerdings auch ohne berühmten Gespons.
Nun fielen dem Redaktionskomitee der Wiener Ansichten Lina Loos’ Aufzeichnungen zu ihrer Wahlheimat Sievering in die Hände, die wir mit besonderer Anteilnahme lasen. Nicht zuletzt, weil wir dort familiäre Wurzeln haben und  glaubten, die Gegend gut zu kennen.  
Bisher nicht geläufig war uns die schwierige Beziehung Sieverings zu Grinzing. „Die Städter fragen oft so leichthin: ,Wohnen Sie nicht irgendwo da draußen in Sievering oder Grinzing?‘ Was für sie ungefähr dasselbe ist. Das muss endlich ein Ende nehmen. Wir haben mit Grinzing absolut nichts zu schaffen!“, echauffiert sich Lina Loos in der hinreißenden Anekdotensammlung Buch ohne Titel.  
Noch weniger als die Grinzinger schienen die Sieveringer die Wiener, auch Städter genannt, zu mögen. Ungebetene Besuche wusste man hintanzuhalten: „Zu uns nach Sievering kommt man nur des Weines wegen und alle Störungen sind unbeliebt, das heißt, es kommt eigentlich niemand, sondern die Weinschenker trinken sich gegenseitig den Wein weg.“    
Anspruchslos und zufrieden sei man in Sievering, schreibt Loos. Man könnte es auch selbstgenügsam nennen. Frei von Sehnsucht oder gar  Fernweh. 
Gute Einstellung in Tagen wie diesen.

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