Wie ich lernte, die U6 zu lieben

Keiner mag die U6. Ein Plädoyer für mehr Zuneigung.
Barbara Beer

Barbara Beer

Womit wir uns gestern noch beschäftigten: Essverbot in den Öffis. Den Anfang machte vor vier Jahren die U6. Da wir uns auch angesichts des großen Ganzen die kleinen Keppeleien nicht nehmen lassen: Wer die U6 etwa bei der Spittelau besteigt, wird auch heute noch von heißem Kebab-Odem olfaktorisch erschlagen.
Andererseits ist die Streckenführung der U6 echt sehenswert. Wenn Sie einen Platz und Zeit zum aus dem Fenster schauen haben, tun Sie’s. Beginnen Sie bei Harry Glücks Terrassenwohnungen in Alt Erlaa –  heute noch revolutionär und von den Bewohnern geschätzt. Schon Adolf Loos hatte Ähnliches erdacht. Und, apropos Architektur: Trotz des oft schleißigen Umgangs Wiens mit seinem baulichem Erbe weiß man heute, wer Otto Wagner, Erbauer der Stadtbahn, nun U6, war: Die meisten Otto-Wagner-Stationen sind vorbildlich saniert.
Die U6 bietet außerdem Kultur aus allen Richtungen, beginnend bei der Tscherttegasse mit dem Theater im Werk X, gefolgt von Hauptbibliothek, Volksoper, WUK und Chelsea. Dazwischen liegen unglaubliche Ein- und Ausblicke. Von der Station Nußdorfer Straße sieht man hinüber zum Jüdischen Friedhof, bei der Josefstädter Straße blickt man über die halbe Stadt.
Und dann die großen Dramen. Denn die U6 erzählt auch von Leben und Tod. Schauen Sie in die Gesichter der Menschen, die beim AKH ein- und aussteigen. Viele mit Röntgenbildern unterm Arm. In manchen Gesichtern findet man Hoffnung, Angst oder Erleichterung.         
Am bemerkenswertesten ist die U6 da, wo die meisten schon ausgestiegen sind. Nach dem Handelskai schweift der Blick über die Donau Richtung Bisamberg – abends spiegelt sich die untergehende Sonne im Wasser. Dahinter liegen Wasserpark und Alte Donau, wo sich die Jahreszeiten an Segelbooten und Eisläufern ablesen lassen.         
Das Schönste aber: Die U6 ist sozial. Bei der Längenfeldgasse warten sie und die U4  aufeinander. Das ist natürlich sinnvoll. Man kann es aber auch ganz persönlich nehmen – und rührend finden.   

 

 

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