Vom Häkeln und vom Scheitern

Häkeln könnte den Alltag aufpeppen. Wenn nicht diese Luftmaschenkette wäre.
Vea Kaiser

Vea Kaiser

Um 6:15 klingelt meines Gatten Wecker. Um 6:23 wieder. Um 6:31 ertrage ich das schrille Gebimmel nicht mehr und flüchte zur Kaffeemaschine. Vier Weckerinfarkte später steht mein Mann unter der Dusche. Kurz nach sieben diskutieren wir, warum er den Wecker so zeitig stellt, obwohl er erst 45 Minuten später aufsteht. Kurz nach acht bin ich gedehnt, koffeeiniert, gewaschen und wecke den Hund, der zwar jeden hausfremden Besucher zwei Stockwerke über und unter uns hört, aber gegen den Alarmton „Radar“ immun ist.

Wir gehen spazieren, wir schreiben, wir lesen Bücher, wir spielen Ball, wir gehen spazieren, wir verzweifeln über unseren Netzanbieter, wir treiben Sport, wir lesen Zeitung, wir gehen spazieren, wir kochen, wir schauen Serien und gegen halb elf schlafen wir ein. Wenn wir verwegen sind, bleiben wir bis nach 23:00 wach.

Das ist mein hochaufregendes Leben seit einem Jahr. Also beschloss ich unlängst: Mein Alltag braucht Würze. Um Spannung aufzubauen, nahm ich ein Großprojekt in Angriff. Etwas, das mich herausfordern sollte und mit dem ich sicher länger beschäftigt sein würde: Ich wollte eine Decke häkeln.

Halluzinogene Häkel-Tutorials

Blöderweise hatte ich im Handarbeitsunterricht viel Energie darauf verwendet, bloß nichts zu lernen. Und so scheiterte ich bereits an der Luftmaschenkette. Die Häkel-Tutorials auf Youtube empfand ich als halluzinogen und die telefonischen Instruktionen meiner Mutter halfen auch nicht. Eine Woche lang trennte ich vor dem Schlafengehen alles auf, was ich abends gehäkelt hatte, und ärgerte mich maßlos über mein früheres Ich. Zu gern würde ich in der Zeit zurückreisen und mir sagen: „Pass besser auf! Handarbeiten könnte deinen Alltag aufpeppen!“

Mein früheres Ich würde mein heutiges für wahnsinnig halten. Doch was würde mein früheres Ich erst sagen, wenn es den Satz des Jahres 2021 hören würde: „Vorsicht vor den Mutanten!“

vea.kaiser@kurier.at

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