Über den Tellerrand: Wow, du bist aber bleich geblieben
Nun dienen die Nachurlaubstage ja eh der Wiedereingliederung in das Büro- oder Redaktionsleben, die Resozialisierung vom homo vacaniesis zum homo laboratis braucht ein bisschen, mit welchem Übereifer auch immer man sich dem eMailpostfach (diesem überquellenden, verwahrlosten Misthaufen) widmet. Da sind Sätze wie „Du bist aber braun geworden“ eine willkommene Eröffnung für ein prokrastinierendes Gespräch über den soeben verbrachten Urlaub.
Dennoch erscheint mir bemerkenswert, wie sehr der Bräunungslevel zum Gradmesser für den gelungenen Urlaub geworden ist. Kommt eine oder einer weiß wie Mozzarella zurück, muss der Urlaub schlecht gewesen sein. Umgekehrt: Je gegerbter, umso grandioser.
Natürlich sagt der Dunkelungsgrad etwas über das Wetter aus – insofern kann man verstehen, was die Zuhausegebliebenen daran reizt. Wer braun ist, hatte Sonne, und wer Sonne hat, hat es immer besser. Das Hautkrebsige am Braunwerden wird immer seltener moniert (warum eigentlich?), auch stellen die Menschen kaum Zusammenhang zwischen der Nachrichtenlage und der Urlaubssonne her. Zum Beispiel: Rekordhitze, Waldbrände, Hitzetote, Katastrophe – aber „wow, du bist aber braun geworden“.
Darüber hinaus existieren natürlich grandiose Urlaubserlebnisse, bei denen man eher sonnenfern und daher bleich bleibt. Wenn man etwa mitten in einer Gruppe von Mantarochen taucht. Oder mystische Höhlen mit wüsten Steingebilden erwandert. Stundenlange Massagen, tagelange Museumsbesuche, selbst Cocktailgeschlürfe im Schatten ... alles ganz taugliche Urlaubsbeschäftigungen ohne Änderung des Teints.
Dennoch gilt dem westlichen Menschen „Du bist aber braun geworden, muss ein toller Urlaub gewesen sein“ als logische Kausalverkettung. (In weiten Teilen der Welt ganz anders, da gilt das Blasse noch immer als Schönheitsideal). Die Wahrheit ist: Man wird auch braun, wenn man den ganzen Urlaub streitet, das Essen nicht verträgt, im Zimmer Kakerlaken hat und vor der Bräunung die Sonnenbrandrötung seines Lebens hatte.
Aber ja, mein Urlaub war fantastisch. Danke!
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