"Stadtgeflüster"-Kolumne: Vertraute Fremde

"Stadtgeflüster"-Kolumne: Vertraute Fremde
Es sind oft nur minimale Gesten von Fremden, die einem ein Gefühl von Zugehörigkeit geben
Anna-Maria Bauer

Anna-Maria Bauer

Wenn ich in den Park bei mir ums Eck laufen gehe, sehe ich jedes Mal das gleiche Pärchen. Sie sind mir das erste Mal vergangenen Sommer aufgefallen, weil sie viel kleiner ist als er und dadurch sehr große Schritte machen muss. Außerdem laufen sie fast doppelt so schnell wie ich und das ärgert mich ein bisschen, weil ich mich für keine langsame Läuferin halte. Also habe ich mir angewöhnt, ein bisschen schneller zu laufen, wenn sie in Sichtweite kommen. Das ist natürlich albern, weil sie keine Instanz sind, meine Sportlichkeit zu bewerten. Und weil wir uns ja auch überhaupt nicht kennen. Eigentlich.

Letztens sind wir uns nicht in Laufmontur, sondern in Straßenkleidung begegnet. Als sich unsere Blicke kreuzten, kniff die Frau ihre Augen zusammen, als würde sie kurz nachdenken, woher sie mich kennt, und nickte mir dann zu.

Wenig später war ich im Supermarkt gegenüber unseres Redaktionshauses. Es ist die gleiche Kette, die auch bei meiner Wohnung ums Eck eine Filiale hat. Im Gang vor der Schokolade kam mir ein Mitarbeiter entgegen, den ich von meinem Stammsupermarkt kannte. Er lächelte und sagte: „Oh, schön, Sie hier zu sehen.“

Es waren nur minimale Gesten, aber sie haben mir ein überraschend warmes Gefühl gegeben. Weil ich gesehen worden bin, weil die Anonymität der Großstadt für einen Moment aufgebrochen ist.

Ich bin tags darauf ein bisschen beschwingter zur S-Bahn gegangen. Ich wollte an dem Augustin-Verkäufer, der dort seit Monaten steht und die Passanten fröhlich anlacht, diesmal nicht so schnell vorbeigehen, sondern ihm einen Augustin abkaufen und ein bisschen plaudern.

Aber als ich ums Eck bog, stand da niemand. Und auch in den Tagen danach war er nicht da. Ich mache mir seitdem ein bisschen Sorgen. Und frage mich, ob er noch da wäre, wenn ich mich mehr mit ihm unterhalten hätte. Nicht weil ich so wichtig bin, sondern weil er sich vielleicht auch nach einem Gefühl der Zugehörigkeit gesehnt hat.

 

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