Gute Nacht! Komm bitte zurück!
Gebt uns die Nacht zurück!“ stand in melancholischen Farben auf der Wand einer U-Bahn-Station gesprüht. Ich konnte den Verlustschmerz der Graffiti-Racker so nachempfinden.
Ich erinnerte mich an jenes sechsjährige irische Mädchen, das beim allerersten Lockdown durch das Netz kursierte. Sie saß auf dem Klo und penzte ihre Mutter an: „Mommy, please let me go to the pub!“ Die Spaßbremse von Mutter verneinte. Dann empörte sich das großartige Fortpflänzchen: „Kann man es glauben! Meine eigene Mutter will mich nicht ins Pub lassen!“ Ich brauche mein Pub, vulgo das geliebte Café Engländer, wie eine seelische Sauerstoffflasche. Wenn dort der Schanigarten öffnet, werde ich wie eine olympische Leichtathletin in den Startlöchern stehen.
Meine neue Mitbewohnerin hat zwar erstklassige Mundschenk-Qualitäten, aber sie kocht auf dem Niveau wie ich gegen drei Uhr morgens ausdruckstanze. Also Katastrophe. Besonders der pseudolaszive Beckenschwung. Meine Tochter hätte mich nach einem Wimpernschlag zur Adoption freigegeben. Aber das Fantastische an diesen Entgleisungsmomenten war immer, dass einem alles egal war und man auf so einem Freiheitsrausch surfte. Meine besten Tage waren tatsächlich Nächte, die manchmal im Café Drechsler bei einem Gulasch endeten, im Scherz-Modus mit den Naschmarkt-Standlern, die sich hier ihren ersten Cognac in Kaffee-Begleitung reinpfiffen.
Oder bei Philosophica am Würschtlstand am Hohen Markt. Und das Tolle war, dass man nach solchen Exzessen nicht wie heute drei Tage um Asyl in einem Sauerstoffzelt ansuchen musste, sondern einfach fröhlich weitermachte. Frei nach dem Motto: Schlafen ist für Luschen. Ich habe jetzt genug Pensionistenleben absolviert, will weder spazieren gehen, noch entrümpeln, noch Sauerteig ansetzen. Das Parfum „Eau de Unvernunft“ steht sowas von bereit. Gute Nacht! Komm bitte zurück! Ich bin schon viel zu lange zu ausgeschlafen.
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