Paaradox: Zeit des Wandels

Gabriele Kuhn und Michael Hufnagl
Eine spezielle Herausforderung sorgt auch für ein spezielles Frühlingserwachen. Denn plötzlich ist daheim so vieles nicht mehr, wie es immer war.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Michael Hufnagl

Michael Hufnagl

Sie

Alles steht still – und trotzdem tut sich gerade sehr viel. Zumindest beim Mann nebenan, der mich mit seinen neuen Attitüden Tag für Tag  erstaunt, sodass ich mich manchmal frage: Ist das wirklich noch ER? Da schnipselt er zum Beispiel auf meine Anregung hin widerspruchslos Mangold in die Schinkenfleckerl und kommentiert das  mit einem sanftmütigen Ich mag Mangold ganz gerne, der ist, glaub’ ich, sehr gesund. Gerade, dass er kein grünes T-Shirt trägt  – mit der Aufschrift: Born to be Wildkräutersammler. Unlängst erzählte er mir sogar einen (äußerst schlechten) Brokkoliwitz. 


Regression Richtung Gummibärli

Außerdem geht er auf einmal täglich 30 Minuten laufen, obwohl er die vergangenen 23 Jahre immer sagte: Laufen is urfad. Offensichtlich ist das Joggen nun, mangels Alternative, das Zweitschönste an so einem Selbstisolationstag. Das Erstschönste ist natürlich, täglich an meiner Seite  aufzuwachen. Gleichzeitig zeichnet sich eine vage Regression Richtung Gummibärli ab. Seit er vor allem für die Nahrungsmittelanschaffung zuständig ist und in den Supermarkt pilgert, füllt sich unsere Naschlade zunehmend mit undefinierbarem Zuckerzeugs –  von G wie Gummibärli bis M wie Maoam. Da sitzt er dann, im Homeoffice und knatschgert an giftgrünem und prinzessinenpinkem Zeugs herum – Motto: So lange meine Hand noch ins Zuckersackerl passt, bin ich nicht dick.   Verändert hat sich aber auch unser beider Bewusstsein, das Leben an sich wahrzunehmen: Wir sehen die Welt auf einmal wieder wie kleine Kinder, die sich am Zauber des Augenblicks erfreuen können. Dann sagt er Dinge, die er bis vor Kurzem so nie gesagt hätte: Jö, der Schnittlauch im Hochbeet wächst schon. Oder: Jö, da blüht eine Tulpe. Und plötzlich wird aus einer Tulpe ein gefühltes Tulpenmeer aus vielen kleinen Glücksmomenten. Ja, so ist das gerade bei uns – und es auf gewisse Weise auch schön. Frohe Ostern!

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Er

Du musst dem Laufen nur eine Chance geben haben sie gesagt. Du wirst sehen, nach einiger Zeit kommt der Flow haben sie gesagt. Irgendwann wirst du den Rhythmus der Schritte lieben haben sie gesagt. Nein. Nein. Nein. Ich laufe seit vier Wochen jeden Tag durch den Wald, weil Bewegung wichtig ist. Aber es ödet mich unendlich an. Weil ich für mein sportliches Glück Gegner, Bälle und Abwechslung brauche. Aber was soll’s, jetzt ist eben alles ganz anders. Und auf gewisse Weise ist das neue  Leben auch wieder spannend (zumindest vor und nach dem Laufen). So habe ich als Home Officer und Gentleman etwa die Gelegenheit, gnä Kuhn bei so manchen Metamorphosen zu beobachten. Das Daheimbleiben  sorgt bei ihr für eine Rappel-Inflation, was u. a. heißt: Sie putzt sich die Seele aus dem Leib. Zuletzt schickte sie mich sogar mit Rotwein und Grissini ins Schlafzimmer,  um in alle Ruhe sämtliche Steinfliesen der Wohnung mit dem Dampfreiniger auf Hochglanz zu bringen.


Zahlendings

Danach widmete sie sich ganz beseelt ihrer neuen Leidenschaft, den Rezeptvarianten des Restlessens. Und fand es leider nicht lustig, als ich sie bat, zum Dinner doch bitte das Kleine Schwarze statt der Jogginghose anzuziehen. Dabei braucht es in einer fordernden Zeit wie dieser gerade in einer Ehe mehr Humor denn je. Ich z. B. kann herzlich lachen, wenn sich die Liebste wie aus heiterem Himmel der Aufgabe eines Sudokus stellt und zum ersten Mal in ihrem Leben auf ihr Credo Dieses Zahlendings macht mich so narrisch pfeift. Weil die Lösung jedoch nicht wunschgemäß auffindbar war, wurde ich gefragt. Aber als ich das magische Wort „Logik“ aussprach, wurde sie ganz zappelig und sprach allen Ernstes: „Hör’ auf, ich vertraue da mehr meinem Bauchgefühl.“ Das war’s mit dem Rätselspaß. Ich zog mir die Laufschuhe an, verabschiedete mich in den Wald und dachte mit jedem Schritt: Die Hauptsache ist, wir bleiben alle fröhlich.

 
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