Paaradox: Gepflanzt
Sie
Es ist sehr, sehr lange her, da wollte der Mann gegenüber ein paar Nägel in die Wand schlagen, um ein neues Bild im Wohnzimmer aufzuhängen. Und bums, traf er mit dem Hammer seinen linken Daumen. Der mutierte in den darauffolgenden Tagen zum Naturschauspiel – jeden Tag eine neue Farbe. Bis er eines Morgens rief: Schau, Liebes, endlich habe ich einen grünen Daumen! Heiratest du mich jetzt? Was auch deshalb lustig war, weil der Gute niemals über eine botanische Ader verfügte. Das hat er mir auch nie verheimlicht. Als wir beschlossen, zusammenzuziehen, vertraute er mir Folgendes an: Ich finde deine Ficus-Yucca-Gummibaum-Indoor-Plantage schön, aber, du musst wissen, dass ich nicht so der Blümchentyp bin. Ich habe sogar schon einen Kaktus zu Tode gepflegt.
Gute Energie
Frisch verliebt wie ich damals war, versicherte ich ihm, dass das gar kein Problem wäre, zumal Partner nicht jede Vorliebe teilen müssen. Im Gegenzug gestand ich ihm dann spontan, was ich wirklich von Fußball hielt. Und so kam es, dass er Champions League schauen und ich derweil mit meinen Pflanzen plaudern durfte. Umso verwunderter war ich, als in seinem Nestchen plötzlich zwei Topfpflanzen standen, die er mir mit Gestatten, meine Friedenslilien! vorstellte und dazu kommentierte: Du weißt, Veränderung ist die einzige Konstante im Leben, also interessiere ich mich jetzt für Zimmerpflanzen. Die zwei schenken dem Raum doch gute Energie, oder? „Und wann genau fängst du an, zarte Aquarelle zu malen und dazu einen Master in Feng-Shui zu machen?“, fragte ich, nicht ohne einen Mini-Hauch an Ironie in der Stimme. Es gibt aber auch Gutes: Immerhin habe ich schon jetzt eine passende Geschenkidee für seinen Geburtstag im Dezember: die Anschaffung eines „Greisenhaupts“, lateinisch: „Cephalocereus senilis“. Ein verzweigt wachsender Säulenkaktus mit charakteristisch weißen Borstenhaaren, was mich an ein altes Sprichwort denken lässt: „Wie der Gärtner, so der Garten.“
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Er
Ja, auf meinem Fensterbrett stehen tatsächlich zwei Friedenslilien. Die übrigens auch Scheidenblätter genannt werden, was ziemlich paradox klingt – vielleicht mag ich sie deshalb so sehr. Als ich sie unlängst meiner Frau präsentierte („Darf ich vorstellen, Bea und Trix“), war das ein sehr besonderer Augenblick. Weil sich ihre Sprachlosigkeit, die so oft vorkommt wie eine Schneerose in der Kalahari-Savanne, eindrucksvoll in ihrer Mimik manifestierte. Allein für diesen Muss-ich-mir-Sorgen-machen?-Blick hätte sich die Anschaffung des Gießkännchens schon gelohnt. Im umgekehrten Fall wäre das so, als würde sie mir erzählen, wie sehr sie der Trainerwechsel beim FC Bologna beschäftige, weil nicht klar sei, welche Auswirkungen das auf die Rolle von Marko Arnautović haben werde (Thiago Motta wird doch sicher auch das System umstellen, was meinst du?). Als sie die Worte wiederfand, erinnerte sie mich an Thomas Bernhard, den ich einst leidenschaftlich zitiert hatte: „Blumen in der Natur? Ja. Blumen in der Wohnung? Nein“.
Pflegeleicht
Erst dann gestand ich, dass die floristische Revolution nicht die Folge eines Lebenswandels gewesen wäre. Im Zuge dessen ich an einsamen Abenden stundenlang recherchierte und abwog, ob Fischschwanzpalme, Pfeilwurze oder Elefantenohr mehr zu meiner inneren Ruhe beitragen könnten als Glücksfeder, Geigenfeige oder Lippenstiftblume. Die Wahrheit ist simpler. Eine Nachbarin stand einst kurz nach meinem Einzug mit den Pflanzen vor meiner Tür, lächelte und sagte: „Ein grüner Willkommensgruß – mein Gefühl sagt mir, dass Sie nix Grünes daheim haben.“ Ihr Nachsatz: „Keine Angst, die sind pflegeleicht“. Ich sagte: „Fein, dann sind sie ja wie ich“. Und dachte: „Wenn mich gnä Kuhn jetzt hören könnte.“ Die stand jetzt da, zupfte ein kleines welkes Blatt ab, und sprach: Schön, dass du mich noch überraschen kannst. Und ich antwortete nur: „Tja. Apropos, Lust auf Lech Posen gegen Austria?“
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