"Paaradox": Leben mit dem Kugel-Blitz

"Paaradox": Leben mit dem Kugel-Blitz
WM-Gewitter: Er wird im Spannungsfeld nervös, und sie entdeckt geladen ihre Toleranzgrenze.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Michael Hufnagl

Michael Hufnagl

SIE

Des WM-Irrsinns Tentakel greifen nach mir. Unlängst so: Langer Arbeitstag, ich sperre auf, lege einen 20-Kilo-Einkaufssack im Vorzimmer ab, nachdem der Mann nebenan einen Grillwurst-, Fleisch- & Bier-SOS-Hilferuf abgesetzt hat. Kurz erwäge ich durchzuatmen, aber nein, da sind sehr komische Geräusche. Tumult im  Wohnzimmer.

Frechheit!

Dort hechelt er wie ein gereiztes Wildtier zwischen Terrasse, Griller und Fernsehgerät hin und her. Der Griller glüht leer vor sich hin (mangels bisher vorhandenem Fleisch, das ich ja erst ankarren musste), daneben läuft der Laptop. Drinnen rennt der Fernseher. Dazwischen flucht er, es handelt sich eindeutig um einen Monolog: Frechheit. Zwei so wichtige Fußballspiele und keine Konferenzschaltung. Starke Betonung auf CH, die beiden Ls sowie das Z aus Konferenz.  Blutdruckkrisen schwängern den Raum, er hat sich selbst in äußerster Hektik eine Konferenzschaltung mit Schlenker zum Griller gebaut. Doch fatal: Das Internet hat Aussetzer, das Bild  vom Match hängt schief und immer noch keine Käsekrainer in Sicht. 

Dass ich einen 20 Kilo schweren Einkaufssack nun mittlerweile zum dritten Mal durch die Wohnung, diesmal Richtung Küche, schleppe, kriegt der Herr mit den Irrlichtern in der Pupille gar nicht mit. Ich fühle mich überflüssig, möglicherweise nimmt er mich in seiner akuten Konferenzschaltungspsychose auch gar nicht wahr.

Ich wage ein leises „Huhu, Schatz, das Fleisch, die Käsekrainer…“ und ernte dafür nur einen einzigen Satz: Ketchup ist aus, scheiße. Das ist jener Moment, um darüber nachzudenken, ob es nicht angebracht wäre, den 20-Kilo-Einkaufssack zwischen Griller, Laptop und Fernseher auszuleeren, um danach dezent zu verschwinden. Wetten, er würde es gar nicht merken?

gabriele.kuhn@kurier.at

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ER

Manchmal  weiß ich nicht, was mich fassungsloser macht: Meine Nöte als leidenschaftlicher Fußball-Aficionado oder die Unfähigkeit meiner Frau, diese Nöte zu sehen, zu begreifen, und ihnen mit Trost, Zärtlichkeit oder sogar Lösungskompetenz zu begegnen. Wozu bitte sage ich seit ewig und drei Tagen, dass ich mich immer in einem emotionalen Ausnahmezustand befinde, wenn die Spanier spielen?  Und so geschah es, dass ich mich zum letzten und entscheidenden WM-Gruppenspiel vor dem Fernseher in Vamos!-Position  begab ... um zu erkennen: Einerlei,  welcher Sender, die zeigen alle das parallel laufende Portugal-Match. Aber als alter Streaming-Fuchs wusste ich natürlich augenblicklich, was zu tun ist, holte den Laptop und arrangierte eine künstlerisch wertvolle Doppelbildschirm-Installation.

Im Wohnzimmer spielte also Ronaldo mit deutschem Kommentar, auf der Terrasse Iniesta mit englischem. Und während ich mit einem Anflug von Gereiztheit hin und her flitzte, um ideale Blickwinkel-Positionen einzustellen,  Lautstärken abzustimmen und ein („Heast, wo ist das Scheißding?“) Verlängerungskabel  zu suchen, stand ganz plötzlich wer mit zwei Einkaufstaschen in der Tür?

Irrsinn

Eh klar, gnä Kuhn. Und eh klar, mit diesem typischen Blick, in dem zu lesen ist:  Bitte, wer hat diesen Irren in die Wohnung gelassen? Und sie sagte nur: „Das ist jetzt nicht dein Ernst?“ Ich bemühte mich natürlich, ihr die Situation zu erklären, aber weiter als „Schau’, ...“ kam ich nicht. Denn sie wollte nur wissen, ob der Griller schon aktiviert sei. Daraufhin ich: „Schau’, ...“ Sie: „Also nicht.“ Ich: „Schau’, ...“ Sie: „Ich schau’ gar nix. Oder wie ihr Spanier gerne sagt, nada. Ich will nur wissen, wann ist endlich Finale?“ Ich: „Bald, Schatzi – magst ein Glaserl Rosé?“ Und sie: „Nur eines?“ Und ich: „Olé!“

michael.hufnagl@kurier.at

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