Guido Tartarottis "Über Leben": Ein Zwergkaninchen mit Charakter
Eine Geschichte über das eigenwilligste Haustier der Welt, einen genervten Tierarzt und viel Herz.
"Also, Klavierspielen lernt er nicht mehr", sagte der Tierarzt und entfernte den Verband von der Pfote unseres Zwergkaninchens. "Und jetzt will ich ihn nicht mehr sehen." Der Tierarzt wirkte hochgradig genervt. Unser Zwergkaninchen blickte hingegen sehr zufrieden drein.
Ein paar Wochen vorher hatte sich das Kaninchen, als es munter durch die Wohnung geflitzt war, die Pfote gebrochen. Wir fuhren sofort zum Tierarzt. Der wollte das Kaninchen einschläfern. Wir fragten ihn empört, ob es ihm eh noch gut gehe, und verlangten, er solle das Tier behandeln. Der Tierarzt seufzte und legte dem Kaninchen eine Schiene und einen Verband an.
Bereits am nächsten Tag hatte das Kaninchen den Verband und die Schiene von der Pfote genagt, und wir fuhren wieder zum Tierarzt, der den Verband erneuerte. So ging das einen Monat lang, und der Tierarzt wurde immer knurriger. Aber am Ende war das Tier gesund und – der Tierarzt hatte recht – konnte nicht Klavierspielen.
Das Zwergkaninchen war stubenrein und lebte frei in der Wohnung. Es benahm sich wie ein Hund und begrüßte uns an der Wohnungstüre, wenn wir nach der Arbeit heimkamen. Es verhielt sich im Wesentlichen manierlich, nur manchmal knabberte es Kabel an, was dem Kaninchen nicht weiter schadete, nur den elektrischen Geräten.
Abends, wenn ich auf dem Sofa lag, sprang es auf meinen Bauch und verlangte, gestreichelt zu werden. Dabei knirschte es mit den Zähnen, und ich hatte den Eindruck, es sprach mit mir. Eines Tages war ein Freund zu Besuch, nach dem Essen war er müde und legte sich aufs Sofa, um ein wenig zu ruhen. Nach ein paar Minuten kam er leichenblass ins Nebenzimmer und sagte den legendären Satz: "Ein Raubtier ist mir auf den Bauch gesprungen."
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