Ein Porträt von Guido Tartarotti.

Guidos Kolumne: Meine hochbegabte Tochter

Meine Tochter ist mir ein Rätsel, aber meine Liebe zu ihr ist groß wie die größte denkbare Unendlichkeit.

Meine Tochter, die jetzt Geburtstag hat, ist mir ein großes geliebtes Rätsel. Als kleines Kind war sie meist ruhig und gelassen, sie blickte auf die Welt und die Menschen, als würde sie sich ein wenig wundern. Gleichzeitig war sie stets bereit, jeden Konflikt auszutragen – sie ging keinem Streit aus dem Weg. Kam ihr jemand dumm, konnte sie sehr böse werden. Irgendwann stellte ein Psychologe fest, dass sie hochbegabt ist, und sie besuchte eine Förderklasse.

Ihre Begabung war so hoch, dass sie mit 16 Jahren maturierte. Ihre vorwissenschaftliche Arbeit präsentierte sie auf Englisch, um es sich nicht zu einfach zu machen. Mit ihrer Mathematikmatura war sie so schnell fertig, dass sie nach Hause ging, sich im Internet die Mathematikarbeit einer anderen Schulform heraussuchte und freiwillig durchrechnete.

Ich weiß noch, dass sie mir als Halbwüchsige bei einem Spaziergang ihre Sicht auf das Leben darlegte. Mir wurde fast kalt beim Zuhören, so schneidend scharf waren ihre Gedanken. Heute studiert sie Mathematik in Oxford. Unter anderem befasst sie sich, wenn ich es richtig verstanden habe, mit der Berechnung unterschiedlich großer Unendlichkeiten, was für mich völlig unfassbar ist. Denn ich naiver Mensch habe bisher geglaubt, Unendlichkeiten sind immer gleich groß, nämlich … unendlich.

Meine Tochter ist aber auch sportlich und künstlerisch begabt – sie klettert im Boulderteam ihrer Universität und hat sich Gitarrespielen in drei Monaten besser beigebracht als ich mir in 40 Jahren. Meine Tochter ist mir, wie schon gesagt, ein Rätsel, aber meine Liebe zu ihr ist groß wie die größte denkbare Unendlichkeit. Und ich bin unendlich dankbar, dass sie, wie es mir scheint, diese Liebe erwidert.

Guido Tartarotti

Über Guido Tartarotti

Guido Tartarotti wurde, ohne vorher um Erlaubnis gefragt worden zu sein, am 23. Mai 1968 zur Mödlinger Welt gebracht. Seine Eltern sind Lehrer, und das prägte ihn: Im anerzogenen Wunsch, stets korrekt und dialektfrei zu sprechen, glaubte er bis in die Pubertät, Vösendorf heiße eigentlich Felsendorf. Das Gymnasium Perchtoldsdorf, wo es damals u. a. eine strenge Einbahnregelung für die Stiegenhäuser gab, verzichtete nach einigen Verhaltensoriginalitäten seinerseits nach der fünften Klasse auf seine weitere Mitarbeit. Also maturierte er in der AHS Mödling-Keimgasse. 1990 begann er in der KURIER-Chronikredaktion. 1994 wurde er Leiter der Medienredaktion, ein Jahr darauf auch der Kulturredaktion. Beide Positionen legte er 2004 zurück, um wieder mehr Zeit zum Schreiben zu haben.

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