Johannas Fest: Essen als sozialer Akt

Noch nie haben die Ausgaben für Essen einen so geringen Teil des Haushaltsbudgets in Anspruch genommen wie heute.
Johanna Zugmann

Johanna Zugmann

Wie es um unsere Esskultur steht? „Was wir heute an einem Tag vertilgen, entspricht dem, was unsere Vorfahren einmal im Jahr zu einem großen Fest aßen. Noch nie haben die Ausgaben für Essen einen so geringen Teil des Haushaltsbudgets in Anspruch genommen wie heute und noch nie war die Wertschätzung für Lebensmittel so gering“, monierte die niederländische Grande Dame des Eat-Design, Marije Vogelzang, in einem Interview, das ich mit ihr für ein Luxus-Magazin geführt habe. Für sie sind Lebensmittel „die wichtigste Ressource der Welt und Essen ist vor allem ein sozialer Akt.“

Alarmierend auch der Befund von Ernährungs- Experten, Soziologen, Politikern, Agrarwissenschaftern und Umweltschützern: „In den Wohlstandsgesellschaften landet ein Drittel aller Nahrungsmittel auf dem Müll. Dazu kommen Bienensterben, die ausgefischten Meere, Monokulturen in der Landwirtschaft und der drohende Verlust kultureller Errungenschaften wie der Kochkunst. Viele Menschen essen allein und Kinder sehen Nahrung nicht mehr wachsen.“ Es laufe derzeit so viel schief, dass eine Ernährungs- revolution unvermeidbar sei, so ihr Tenor.

Wie wohltuend Essen bei Freunden sein kann, die gegen den Strom schwimmen, durfte ich Samstag vor acht Tagen erleben: Eigentlich wollte ich nur ganz kurz bei Karin auf einen Kaffee vorbeischauen; und auf einen Weitblick in die herrliche Landschaft rund um ihren alten Bauernhof im Mostviertel.

Trendumkehr?

„Isst du eine Kleinigkeit mit uns? Es gibt Flammkuchen“, fragte Karin. Wer die frankophile Küche der verheirateten Mutter eines 14-jährigen Sohnes kennt, kann zu so einem verlockenden Angebot schwer Nein sagen. Außerdem war der Tisch auf der Terrasse schon für vier statt für drei Personen gedeckt. Zu dem mit Melanzani, Zwiebel und Käse belegten Backwerk gab es Vogerlsalat aus dem eigenen Bauerngarten (der wächst auch im Winter). Und gute Gespräche mit ihr und ihren beiden Männern, der eine gerade im Distance-Learning, der andere im Homeoffice. Beide genossen – wie ich auch – den Wohlgeschmack der hausgemachten Speisen, lobten diesen immer wieder und bedankten sich mehrfach bei der Köchin. Bei der dreiköpfigen Familie ist solche Tischkultur Tradition. Ich erlebte die Antithese zur mangelnden Achtsamkeit beim Essen, zur fehlenden Wertschätzung gegenüber unseren Lebensmitteln und dem drohenden Verlust der Kochkunst. Es war reinstes Labsal für Körper, Geist und Seele!

Im Ausnahmezustand machen sich nun auch Zeitgenossen, für die Fast Food und individuelle Nahrungsaufnahme trotz gleichzeitiger Anwesenheit unter demselben Dach Alltag waren, vermehrt Gedanken über das Essen: über seinen Nährwert, über die Nachhaltigkeit der Nahrungsmittel, über deren Herkunft, die Art wie sie produziert wurden und über ihren persönlichen ökologischen Fußabdruck als Konsumentinnen.

In vielen Haushalten wird auch wieder mehr gekocht. Zum einen, weil die Gastronomie außer für Take-away geschlossen ist. Zum anderen, weil ein Teil der Bevölkerung Kurzarbeit im Homeoffice leistet und damit zumindest theoretisch mehr Zeit für die Zubereitung von Speisen hat. Selbst die bereits als Auslaufmodell gehandelte Familien- Mahlzeit erlebt dank Homeoffice und Distance-Learning eine Renaissance.

– Ob das nur eine kurzlebige Zeiterscheinung ist oder eine nachhaltige Trendumkehr, wird sich erst weisen. Letzteres wäre vielleicht utopisch, aber dennoch wünschenswert!

Kommentare