Juliane Fischers Flaschenpost: Häckseln, Proust und Loire-Wein

Was die Aromenorgel eines Loire-Weins mit meinem Häcksler zu tun hat.
Juliane Fischer

Juliane Fischer

Leichtfüßig, gar unprätentiös spaziert der Wein von der Loire daher. Ein Chenin Blanc 2019 der Domaine Saint-Just in der Region Saumur. In Wirklichkeit wandert er natürlich nicht, sondern wird von wagners-weinshop.com importiert. Knackige Ananas, Marzipan, nur fast reife Kirsche, Kreidestaub, Grapefruit und Grünteeblätter, notiere ich. Sie fragen sich vielleicht, wie ich diese Assoziationen scheinbar aus der Luft greife. Es ist nicht nur eine Frage des Getränks. Tagesverfassung, unmittelbare Eindrücke rundherum und vieles mehr spielen da mit. Wir kennen es ja vom berühmten Literaturbeispiel, das ebenfalls aus Frankreich kommt. Der Romanheld bei Marcel Proust tunkt Madeleines in den Lindenblütentee und setzt damit eine Dufterinnerungsmarke.

Die Geruchsbibliothek kann man trainieren. Sie erkennt mehr, als man denken würde und hat Platz für unzählige Referenzen. Mit jeder bewussten Wahrnehmung wachsen die Möglichkeiten der Aromenorgel an. Immer sensibler erfasst man Nuancen. Kurz vor Weihnachten habe ich einen Häcksler gekauft. Keinen, den der Weinbauer am Traktor anhängt, sondern einen kleinen für den Strauchschnitt. Beim Zerkleinern steigen mir unterschiedliche Gerüche in die Nase: das Grüne, Phenolige der frisch geschnittenen Äste – manchmal etwas laubmuffig, dann leicht bitter wie Mandel oder Grüner Tee. Und so schenkt man sich mit so manchem Wein ins Glas auch die Chance ein, schöne Momente – und sei es nur ein produktiver Gartentag – in Erinnerung zu rufen.

Sie kostet sich durch die Weinwelt, arbeitet als freie Journalistin und zum Ausgleich in ihrem Weingarten in Niederösterreich.
Auf den Geschmack gekommen? Bei Anregungen und Feedback zu Wein und Weinkultur schreiben Sie der Kurier-Freizeit-Redaktion unter flaschenpost@kurier.at

Kommentare