Juliane Fischers Flaschenpost: Dryuary, einmal ohne
Okay, er riecht nach reifem Riesling und frischen Marillen, aber beim ersten Schluck wird klar: Der Alkohol im Wein muss etwas mit Mundgefühl, Textur, Volumen und Viskosität zu tun haben. Manche Weine erinnern eher an kühle Seide oder Satin oder das Piqué eines Polo-Shirts. Hier aber fehlen mir die Stoffigkeit und der Grip. Denn es geht anlässlich des trockenen Jänners – durchs Internet schwirrt der Begriff „Dryuary“ – um alkoholfreien Wein und die Frage: Welche Rolle spielt der Alkohol im Wein? No na, beeinflusst er meine Wahrnehmung – werden Sie sagen – wenn er einen Rausch entwickelt.
Aber schon vorher, bei der Geschmackswahrnehmung, mischt er mit. Wie Fett ist nämlich Ethanol ein Aromaträger, verstärkt den Geruch und mildert bestimmte Geschmacksrichtungen. Alkoholfreier Wein schmeckt saurer, obwohl sich der pH-Wert nicht verändert. Ohne die betäubende Wirkung nehmen wir die Säure besser wahr.
Und dann ist da noch etwas: Alkohol triggert den trigeminalen Reiz, das heißt er stimuliert jenen Gesichtsnerv, der für Tast- und Temperatursinn verantwortlich ist. Kohlensäure löst diesen Effekt ebenso aus. Deswegen kommt alkoholfreier Sekt näher an das Original heran als Stillwein. Apropos still! In konzertlosen Zeiten fällt mir folgender Vergleich ein: Alkohol trägt die Aromen wie einzelne Instrumente als Basis des Geschmacks. Er wirkt wie die Base Drum auf eins und drei. Oder wie die satten Kontrabässe im Orchester.
Sie kostet sich durch die Weinwelt, arbeitet als freie Journalistin und zum Ausgleich in ihrem Weingarten in Niederösterreich.
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