Johannas Fest: Wussten Sie, dass Italiener einst Pasta abschaffen wollten?

"Hätten die Futuristen die Pasta abgeschafft, man müsste sie neu erfinden!", schreibt Gastrosophin Johanna Zugmann.
Johanna Zugmann

Johanna Zugmann

Vergangene Woche schlenderte ich über den Naschmarkt; über jenen Teil des Areals, der der Bezeichnung „Markt“ noch gerecht wird, weil es da tatsächlich Stände mit frischem Gemüse, Fleisch, Käse, Brot und Fisch gibt und nicht nur Gastronomie. Dem Anblick der feilgebotenen Vongole (Venusmuscheln) konnte ich nicht widerstehen. Spontan lud ich meine Lieblingsnichte zu ihrem Leibgericht, Spaghetti alle Vongole, ein. Eine letzte Instruktion holte ich mir noch im Vorübergehen beim legendären Wiener Haubenkoch Reinhard Gerer, der zufällig an diesem Tag meine Wege kreuzte: „Olivenöl, Knoblauch, Petersil, optional ein paar feinst gehackte Peperoncini, ein Schuss Weißwein und eben die Vongole. Zum Schluss die noch nicht ganz auf den al-dente-Punkt gegarten Spaghetti zugeben und eine weitere Minute im Topf mit den übrigen Ingredienzien ziehen lassen“, so das Erfolgsrezept des Maestro. So was von einfach und so was von gut, ein Segen, was uns Italiens Küche so kredenzt hat!

Während wir eine Stunde später genussvoll Spaghetti um die Gabeln wickeln, erzählt mir Karoline, dass die Pasta einst zur bedrohten Spezies unter den Nahrungsmitteln unseres südlichen Nachbarlandes zählte. Wie bitte? – Die Geschichte war so: Die Feinde der Teigware, die inzwischen die Welt erobert hat, forderten in dem sogenannten „Manifest der futuristischen Küche“ die völlige Erneuerung des italienischen Ernährungssystems. Die Pasta sollte abgeschafft werden, Traditionelles und Alltägliches so rasch wie möglich von der Tafel verschwinden, richtete Filippo Tommaso Marinetti, ein Schriftsteller und Politiker und der Anführer der kulinarischen Revolution, seinen Landsleuten 1930 in der Turiner Tageszeitung Gazzetta del Popolo aus.

Heiliger Gaumen

Laut Plan der Futuristen nämlich sollte Essen primär dem Genuss dienen und ähnlich wie ein Opernbesuch sämtliche Sinne anregen. Kredenzt werden sollte ein Gesamtkunstwerk, das gleichermaßen Augenschmaus, Gaumenfreude und neue haptische Erfahrungen verspricht. Der aktuellen Küchendoktrin folgte zumindest im Norden des Landes eine avantgardistische Elite und schaffte die Pasta ab. Schließlich outete sich auch Cavaliere Pettini, der Chefkoch des damaligen König Viktor Emanuel III, als Pastagegner: „Zweifelsohne belasteten die Mehlprodukte den Körper und bedrohten somit die Intelligenz“, schrieb er im Fachblatt „Die italienische Küche“.

Während innovative Geschmacksbeispiele im 1931 in Turin eröffneten ersten futuristischen Restaurant, La Taverna del Santopalato („Die Taverne zum heiligen Gaumen“), auf den Tisch kamen, formierten sich im Süden die „Traditionsretter“: Hausfrauen der Stadt Aquileia verfassten eine Petition, in der sie um den Erhalt des Nationalgerichts flehten und die Neapolitaner demonstrierten dafür gar in Straßenumzügen! – Der kulinarische Glaubenskrieg auf der Apenninhalbinsel war den Zeitungen Europas und in Übersee seitenweise Reportagen wert.

1932 erschien das Kochbuch La Cucina Futurista („Die futuristische Küche“) mit Rezepten wie etwa „Alaska-Lachs in Sonnenstrahlen mit Mars-Sauce“, die auch meist Ess-Choreografien mitlieferten, wie sie heutzutage etwa die holländische Eat-Designerin Marije Vogelzang kreiert.

Kurze Zeit danach endete der Kampf gegen Pasta & Co. und auch die „Taverne zum heiligen Gaumen“ war Geschichte.

Schön, dass das was gut ist, bleiben durfte. Hätten die Futuristen die Pasta abgeschafft, man müsste sie neu erfinden!

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