Johannas Fest: Verantwortung der Gastgeber
„Wie war Dein Wochenende?“, fragte ich Irene bei unserem gemeinsamen Hundespazier- gang durch die Donau-Auen. Sie bebte innerlich, während sie von den eineinhalb Tagen, die sie im Burgenland bei einem Künstlerpaar eingeladen war, berichtete. Eigentlich hätte Irene ja von Freitagmittag bis Sonntagabend in Pannonien bleiben sollen. Das für sie reservierte Gästezimmer im vorbildlich renovierten Bauernhaus war gemütlich, das Boxspringbett mit feinem Satinbettzeug überzogen und sogar für ihren vierbeinigen Begleiter standen ein Designer-Sofa und eine Wasserschüssel bereit. Dennoch reiste sie am Samstag in aller Frühe ab. Der Grund: Der Gastgeber hatte wohl schon zu tief ins Glas geschaut, als er eine politische Diskussion vom Zaun brach. Der Maler, der dank einer größeren Erbschaft keinesfalls zu den Hungerkünstlern zu zählen ist, ergoss sich in einer flächendeckenden Kapitalismus- kritik. Irene, eine Geschäftsfrau und erklärte Bürgerliche mit entsprechendem Wahlverhalten, hielt mit ihren Einstellungen nicht hinter dem Berg. Als sie sich kritisch über die ihrer Meinung nach überzogenen staatlichen Sozialhilfen und deren Empfänger zu äußern begann, war der Krieg bei Tisch eröffnet. Der Hausherr hatte in dem Gast sein Feindbild entdeckt, das er aufs Übelste zu beschimpfen begann. Seine Frau hielt sich aus dem Ringkampf heraus, statt Irene zu verteidigen.
Ebenfalls frühzeitig verlassen hat Frank (Name geändert), ein bekannter Journalist, eine Nobel-Einladung in der Villa einer führenden Netzwerkerin; unter den Gästen ausschließlich ebenso erfolg- wie einflussreiche ZeitgenossInnen.
Einer von diesen, der Primus seiner Zunft, soll in einer knappen Stunde allein eine ganze Bouteille Wein geleert haben. Der Trinkfreudige ist in den Medien omnipräsent, sowohl als Gast von Diskussionsrunden, als auch als fleißiger Besucher von Seitenblicke-Events. Frank und seine Frau sind frühzeitig gegangen, weil sie dem Würdenträger die Peinlichkeit ersparen wollten, Zeugen seines sich verschlechternden Zustands zu werden.
– Eigentlich hätte die Gastgeberin da unauffällig gegensteuern müssen: Etwa indem sie die Weinflaschen außer Reichweite des bereits Angeheiterten gebracht, oder ihn zu einem Taxi eskortiert hätte.
Vertrauenssache
„Jemanden zu Gast laden, heißt für sein Glück sorgen, solange er unter unserem Dache weilt“, postulierte der französische Gastrosoph Jean- Anthelme Brillat-Savarin in seiner „Physiologie des Geschmacks“ (1826). Der Ablauf gastlicher Begegnungen ist mitunter wenig vorhersehbar. Das erfordert vom Gast ebenso wie vom Gastgeber Vertrauen.
Private Gastgeber vertrauen darauf, dass diejenigen, die zusagen, auch tatsächlich erscheinen werden und dass sie weder das Mobiliar noch die Stimmung zerstören. Gäste, die eine Einladung im privaten Rahmen annehmen, vertrauen darauf, dass der Gastgeber ihnen Gutes widerfahren lassen will – auf kulinarischer ebenso wie auf atmosphärischer und gesellschaftlicher Ebene. Darauf sollte man sich verlassen können. Alles andere wäre verschwendete Lebenszeit und damit kontraproduktiv!
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