Johannas Fest: Stachelgemüse mit weichem Herz

Mit den Stacheln muss man erst einmal umgehen lernen, ehe man an das begehrte weiche Herz gelangt.
Johanna Zugmann

Johanna Zugmann

Unsere Freundin Maria musste wieder einmal einfach spontan weg. Die italophile Private Bankerin zog es nach Rom. Einerseits um dort ausgiebig dem „dolce far niente“ zu frönen, andererseits um sich in den schicken Boutiquen der Ewigen Stadt mit den neuesten Designerstücken einzudecken. Und natürlich, um sich in den gerade angesagten Trattorien die unvergleichliche „Cucina Romana“ einzuverleiben. Sie hat uns von ihrem Kurztrip frisches Gemüse mitgebracht: Artischocken.

Die haben eine interessante Geschichte: Zeus hatte sich laut der griechischen Mythologie in die attraktive Nymphe Cynara verliebt, die ihn jedoch abwies. Daraufhin verwandelte sie der oberste olympische Gott in seiner Wut in die stachlige Artischocke.

Mit den Stacheln muss man erst einmal umgehen lernen, ehe man an das begehrte weiche Herz gelangt. Im Fall großer reifer Artischocken bedarf es eines gerüttelt Maß an Großzügigkeit. Dann nämlich wenn es – trotz des gängigen Trends, alles zu verwerten – ums Zuputzen des Kochguts geht. Das beginnt mit dem Entfernen der äußersten Blütenblätter, ehe man sie mit einem mutigen Schnitt mit einem scharfen Messer etwa drei Zentimeter kürzt. Dann folgt Feinarbeit mit der Schere, mit der die Spitzen kreisförmig gekappt werden. Anschließend drückt man die Blätter auseinander, zupft das Heu vom Herz und kratzt mit einem langen Löffel penibel aus, was die Gaumen der Genießer stechen statt entzücken könnte. Damit auch der Augenschmaus nicht an Verfärbungen scheitert, sind sämtliche Schnittstellen unverzüglich mit Zitrone einzureiben. Was dann weiter mit dem edlen Gemüse, das in unseren Breiten lange als Zierde oder Heilmittel angepflanzt wurde, angestellt werden kann, dem sind fast keine Grenzen gesetzt: Man serviert es gekocht mit einer Sauce oder frittiert die einzelnen Blätter, auch in Risottos und Pastagerichten sowie als Pizzabelag hat sich die Artischocke etabliert.

Edelbitter

Im 16. Jahrhundert nahm der Eroberungsfeldzug der aus Sizilien nach Florenz importierten Pflanze als kulinarische Delikatesse seinen Lauf. Auf den bitteren Geschmack des Distelgewächses gekommen war niemand geringerer als Caterina de’ Medici. Die Prinzessin von Urbino und nach ihrer Heirat mit Heinrich II. ab 1547 Königin von Frankreich ließ die Pflanze an ihrer royalen Tafel auftragen. Bis zur Französischen Revolution war die Artischocke dann ein Symbol von Reichtum und vornehmer Lebensart, das in den Gärten des französischen Landadels zum Fixstarter avancierte. Am Platz – jede einzelne Pflanze braucht einen ganzen Quadratmeter an der Sonne – mangelte es den Edelleuten ja nicht und die Rendite der Artischocken-Aussaat ist eine multiple: Ob je nach Sorte länglich oder rund, grün oder violett, ist das erblühte Gewächs nicht nur Augenschmaus und Gaumenfreude. Artischocken wird eine appetitanregende, verdauungsfördernde und cholesterinsenkende Wirkung zugeschrieben. Ihre Blätter werden auch zu Säften, Tees, Trocken- extrakten und Tinkturen verarbeitet.

Apropos verarbeiten: Maria hat uns freundlicherweise die dornenlose Römische Artischocke (carciofo romanesco) mitgebracht, bei der das mühsame Heuauskratzen wegfällt. Und noch eine gute Nachricht zum Schluss für alle, die auf total regional und saisonal setzen: Ab Mitte Juli gibt es das Edelgemüse in Gourmetqualität auch aus dem heimischen Marchfeld.

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