Johannas Fest: Polyglott ins neue Jahr

Zwar bleiben wir bis zum neuen Jahr daheim, trotzdem sollte es zu Silvester polyglott zugehen.
Johanna Zugmann

Johanna Zugmann

Vor und nach Weihnachten hat das Wünschen Hochsaison. Ich habe vor einem Monat auf dem Wochenmarkt Barbarazweige erstanden. Die niederösterreichische Bäuerin, die sie mir verkauft hat, gab mir gleich eine Gebrauchsanweisung mit. An eine Knospe sollte man einen Zettel mit einem Wunsch hängen. Geht die Knospe bis Weihnachten auf, geht der Wunsch in Erfüllung. Ich habe „Reisen“ an den Barbarazweig gehängt.

Zwar bleiben wir bis zum neuen Jahr daheim, trotzdem sollte es zu Silvester polyglott zugehen.

In unserer unmittelbaren Nachbarschaft leben zunehmend Menschen aus aller Herren Länder.

An der einen Ecke unserer Gasse wohnt Birkan, ein ungemein sympathischer, gebildeter und stets gut gelaunter Start-up-Unternehmer. Der mit der US-Amerikanerin Linda verheiratete Türke hat uns gemeinsam mit Aphrodite aus Saloniki, die in der griechischen Botschaft an der Ecke arbeitet, eingeladen. Mit von der „Rutsch-Partie“ ins neue Jahr sind auch unsere spanische Freundin Cristina, Conny und seine russische Ehefrau Olga sowie

Akito aus dem Lande Nippons.

Was die Gäste nebst negativem PCR-Test mitbringen dürfen? Alle Eingeladenen sollten die nötigen Utensilien für einen Silvesterbrauch aus ihrer Heimat einpacken.

Gaumenreisen

Cristina bringt laut Birkan pro Gast zwölf abgezählte Trauben, für jeden Monat des neuen Jahres eine. Bei jeder Traube, die jeweils zu einem Glockenschlag um Mitternacht zu verspeisen ist, darf man sich etwas für das kommende Jahr wünschen.

Olga kommt mit Champagner, Notizzettel, einer Kerze und Zündern. In Russland ist es nämlich Brauch, am letzten Abend des Jahres einen Wunsch für das neue Jahr zu Papier zu bringen, dieses dann zu verbrennen und die Asche in ein Glas Champagner zu schütten, das dann vor Mitternacht getrunken wird.

Aphrodite wird die Runde mit dem griechischen Vasilopita-Kuchen erfreuen. Ganz besonders die- oder denjenigen, der das Stück mit der im Teig mitgebackenen Goldmünze erwischt. Das soll im neuen Jahr nämlich besonders viel Glück bringen.

Unser Mitbringsel ist ein Linsensalat. Schließlich verspricht der Verzehr dieser Hülsenfrüchte zu Silvester und am 1. Jänner Geld und Reichtum, so der Volksglaube.

Akito, ein begeisterter Hobbykoch, sorgt mit den für den 31. Dezember traditionellen Toshikoshi Soba für mehr als nur eine feste Unterlage. Toshikoshi bedeutet das Ende vom alten Jahr und einen neuen Anfang. Die langen Nudeln aus Buchweizen sollen ein erfülltes und gesundes Leben bescheren.

Birkan verzichtet übrigens auf die originalgetreue Ausübung eines Silvesterbrauchs aus seiner Heimat.

Dort werden Granatäpfel vom Balkon geworfen. Je stärker sie aufplatzen und ihre Kerne verteilen, desto erfolgreicher und glücklicher soll das neue Jahr werden. „Zu gefährlich für Passanten“, urteilt der Vater zweier Kleinkinder und bringt das Symbol für Fruchtbarkeit, Schönheit und ewiges Leben stattdessen flüssig als Granatapfelsaft auf den Tisch.

Ob die Knospe am Barbarazweig aufgegangen ist? – Leider nein. Aber immerhin hat das Jahr mit einer Gaumenreise begonnen. Und heute esse ich noch den restlichen Linsensalat auf. Sobald sich dann der Geldregen einstellt, buche ich unverzüglich eine Passage an Bord der Hurtigruten; Rentiere, tanzende Polarlichter, Walbeobachtung – 2022, ahoi!

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