Johannas Fest: Kulinarische Klimabilanz

Wer hätte gedacht, dass im März gekaufte Paradeiser aus heimischen Gewächshäusern der Umwelt mehr schaden als der Konsum aus Spanien importierter Tomaten?
Johanna Zugmann

Johanna Zugmann

Vergangenen Donnerstag waren wir zu einem frühen Abendessen in einem pittoresken Häuschen an der Alten Donau eingeladen. Knackige, raffiniert gewürzte Salate bildeten die Ouvertüre zu einem dreigängigen vegetarischen Menü, das uns die beiden Gastgeberinnen kredenzten. Wo sie denn so frisches Gemüse herhätten, begehrte ich zu wissen. „Wir müssen verrückt geworden sein!“, antwortet Elke. Gemeinsam mit ihrer Freundin Marietta hat die vierfache Oma im Süden Wiens ein Feld gepachtet. Im Affentempo hätten sie mithilfe der „Jungen“ (Elkes zwei Töchter und die Schwiegersöhne) zweihundert Pflanzen gesetzt. Die beiden Pensionistinnen liegen mit ihrem „Urban Gardening“ voll im Trend: Ob am Fensterbrett, auf dem Balkon oder im Hochbeet, die selbst gezogenen und ganz kurz vor der Verarbeitung geernteten Kräuter und Gemüse bringen nicht nur unvergleichliche Gaumenfreuden, sondern sind auch ein positiver Beitrag zur Klimabilanz.

Heute werden wir fast täglich von den öffentlichen Medien daran erinnert, dass es neben der einen ja auch noch eine andere, nämlich die Klimakrise, gibt. Nicht nur SUVs, Kreuzfahrten oder Flüge werden neu überdacht. Dass jedes Individuum die Umwelt auch mit seinem Essverhalten entscheidend beeinflusst, etwa durch Konsum von regionalen und saisonalen Lebensmitteln, ist nicht erst seit den spektakulären Auftritten der Greta Thunberg bekannt.

Schon Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) hat den unzureichen- den Geschmack von Frühobst moniert, das in seiner Zeit von reichen Parisern, ohne Kosten zu scheuen, in geheizten Treibhäusern gezogen wurde. Der Schriftsteller, Philosoph, Pädagoge, Naturforscher und Komponist der Aufklärung stellte sich selbst die Gewissensfrage, wieso man im Winter sommerliches Obst verspeisen muss. Er spricht sich eindeutig gegen die künstlich hervorgebrachte Warenvielfalt aus und propagiert somit die Regionalität und Saisonalität.

Ethik & Einkaufen

Heute gibt es fast keinen Trend ohne Gegentrend: Parallel zu ungerechtem Handel und der globalen „Geiz-ist-geil-Mentalität“ steigt in den Industrieländern das Bewusstsein für mündigen Konsum. Die Schar jener, die nicht nur darüber nachdenken, welches Essen ihren Körpern und ihrem Geist guttut, sondern auch der Umwelt, wächst. Kompromisslose werden Vegetarier oder gar Veganer. Dass Erdäpfel einen sehr geringen Kohlendioxid-Ausstoß (114 Gramm) erzeugen und Kalbfleisch einen extrem hohen (18,8 Kilogramm), mag ja nicht überraschen.

Aber wer hätte gedacht, dass im März gekaufte Paradeiser aus heimischen Gewächshäusern der Umwelt mehr schaden als der Konsum aus Spanien importierter Tomaten? Der Transport mache nämlich nur vier bis sechs Prozent der Emissionen aus. Dies ist auf der Website „Eaternity“ nachzulesen. Das Schweizer Unternehmen arbeitet gerade an einer App, mit der jeder Einzelne die Umweltbilanz seiner Ernährungsgewohnheiten untersuchen kann.

Zurück zur Alten Donau: Nach dem Dessert – selbst gezogene Erdbeeren mit Rhabarber – gehen wir an Bord. Elke lenkt die Zille und Marietta beglückt uns mit einem Privatkonzert auf ihrer Gitarre. Sie gibt das wunderbar romantische Werk „Come again“ des Komponisten John Dowland (1563 bis 1626) zum Besten. Während wir zurücktuckerten ging dann auch noch der fast volle Mond auf. – Was für ein Fest für alle Sinne!

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