Johannas Fest: "Foodamentalismus" - ist Essen die neue Religion?

Der Mensch ist, was er isst, schreibt Gastrosophin Johanna Zugmann.
Johanna Zugmann

Johanna Zugmann

Alles endete feierlich. Die von der New Yorker Metropolitan Opera bis zu den Salzburger Festspielen umjubelte deutsche Sopranistin sang begleitet von meinem Mann am Klavier Schubert-Lieder. Der aus Theater und TV-Sendungen bekannte Burgschauspieler rezitierte aus Rainer Maria Rilkes Duineser Elegien. Die Tafelrunde erlebte eine Sternstunde; eine Tafelrunde, die mein Mann, ein sehr romantischer Musiker, rein nach dem Kriterium Sympathiewerte und Begeisterungsfähigkeit eingeladen hatte.

Was er natürlich nicht bedacht hatte, geriet für mich fast zu einem kochplanerischen Super-GAU: Die Opernsängerin war Veganerin. Und von meinem Mann unvorsichtigerweise nach einem Essenswunsch befragt, nannte sie „grüne Spargel“. – Das wäre auch im Februar in Wien kein allzu großes Problem gewesen, da es diese ja in den gehobenen Supermärkten rund ums Jahr gibt.

Im tiefsten niederösterreichischen Mostviertel aber bedeutete deren Beschaffung eine eineinhalbstündige Autofahrt.

Der Göttergatte wusste auch nicht, dass der Schauspieler auch nur den leisesten Mehlhauch, etwa in Form einer gebundenen Sauce, als Mordanschlag auf seine Person wertete. Er leidet seit Jahren an einer Glutenunverträglichkeit und meidet Brot und alle anderen Getreideprodukte wie der Teufel das Weihwasser.

Eva, die Frau des auf Kulturbetriebe spezialisierten Consultants wiederum, verträgt keinerlei Milchprodukte.

Und dann war da noch Philipp. Der Jurist ist unser Segelfreund. Von den gemeinsamen Turns wussten wir, dass der opernbegeisterte Skipper keine Meeresfrüchte isst. Aber auch Innereien und ja sogar bestimmte Gemüse, wie etwa Melanzani, lösen bei dem gebürtigen Grazer allergische Schocks aus.

Was gerade noch gefehlt hätte, wäre ein Anhänger der Steinzeitkost Paleo, bei der alles erlaubt ist, was unsere Vorfahren vor Tausenden von Jahren schon jagen, sammeln, pflücken und fischen konnten. Aber auch ohne einen Anhänger dieser Diät bereitete die Frage „Was soll ich auftischen?“ so viel Kopfzer- brechen wie ein Sudoku der Stufe „extrem schwierig“.

Diverse Tafelrunde

Den Gedanken, die Einladung in ein Restaurant zu verlegen, musste ich schnell wieder verwerfen.

In unserer Umgebung hatte kein Lokal, das den Ansprüchen unserer acht Gäste entsprochen hätte, offen. Ich entschied mich dann für ein Buffet mit Komponentenessen, von dem sich jeder Gast nehmen konnte, was sie oder er mag und verträgt.

Vom deutschen Philosophen und Anthropologen Ludwig Feuerbach (1804–1872) stammt das bekannte Zitat „Der Mensch ist, was er isst“.

Was wir uns einverleiben und was nicht, hängt längst nicht mehr allein mit individuellen Verträglichkeiten zusammen. In unserer Wohlstandsgesellschaft, in der wir bezüglich Ernährung die Wahl haben, essen immer mehr Zeitgenossen, was sie sein wollen: Sie konsumieren, was der Wunsch-Identität entspricht, was mit dem eigenen Lifestyle harmoniert und die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen signalisiert.

Zeitgeistforscher sprechen bereits von Foodamentalismus oder Essen als neuer Religion, wobei die These, dass wir sind, was wir essen, nur der Anfang sei. War früher üppige fleischreiche Nahrung Ausdruck von Wohlstand, distinguiert man sich heute durch gezielten Verzicht.

Die Ernährung ist zum wichtigsten Bestandteil des Lebensstils avanciert, was auf dem Teller liegt, zum Abbild der Ich-Performance.

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