Johannas Fest: Die Einladung - eine Visitenkarte
Wenn meine Freundin Susi zum Dinner lädt, legt man am besten ab dem Frühstück eine Askesephase ein. Susi ist eine ebenso großartige wie großzügige Gastgeberin und Köchin. Den Tisch deckt sie schon zwei Tage vorher und zwar so kunstvoll, dass er auch in dem feinen Gastlichkeits-Magazin Salon Furore machen könnte: üppiger Blumenschmuck, gestärktes Tischtuch und Stoffservietten, buntes Porzellan, viele Kerzenleuchter und ausgefallene Salz- und Pfefferstreuer aus mundgeblasenem Glas. Bunt und doch zusammenpassend ist auch immer ihre Gästeschar. Ich kann mich an kein Dinner bei ihr erinnern, bei dem es weniger als fünf Gänge gab. Ihre Gäste können sich auch darauf verlassen, dass schon bei ihrem Eintreffen mehr auf dem Tisch steht als nur ein paar Nüsschen, Oliven und Cracker.
Susi, die fast jedes Mal etwas anderes ausprobiert, weil sie die Abenteuer in Topf und Pfanne liebt, zaubert mit absolut individuellen Gewürz- und Ingredienzien-Fusionen stets kulinarische Unikate auf den Tisch. Die kleinen, selbst fabrizierten kalten und warmen Häppchen, die schon zum Aperitif gereicht werden, sind dann nur die Ouvertüre für ein regelrechtes Feuerwerk an Gaumenfreuden, dessen Finale so gut wie immer aus einer selbst gemachten Torte besteht. Warum sie sich immer so viel antut? „Ist ja gar nicht so viel Arbeit. Ich habe Routine. Und außerdem ist so eine Einladung schließlich auch eine persönliche Visitenkarte.“
Maske mit Monogramm
Ob sie wohl je die Anleitung des französischen Schriftstellers und Gastrosophen Jean Anthelme Brillat-Savarin für eine gelungene Einladung zum Diner gelesen hat? Diese erschien in seiner unter Gourmets als Bibel gehandelten „Physiologie du Goût“ (1826) und enthielt Richtlinien von der idealen Gästezahl bis hin zur angemessenen Raumtemperatur. Erstere sollte ein Dutzend Personen nicht übersteigen, da sonst die Teilnahme an einem gemeinsamen Gesprächsthema mühsam wäre. Brillat-Savarin riet übrigens zu hoher Sorgfalt bei der Auswahl der Gäste. Deren Berufe durften durchaus verschieden, doch die Geschmäcker sollten miteinander vereinbar sein. Das Wohlfühlklima lag laut dem Gourmet und leidenschaftlichen Hobbykoch zwischen sechzehn und neunzehn Grad Celsius Raumtemperatur. – Fast zweihundert Jahre später würde das bei Gästen wohl die Frage aufwerfen, ob ihre Gastgeber an der Heizung sparten.
Apropos Jetztzeit: Ebenfalls sehr klare Anleitungen gab es vor rund zwei Monaten unter dem Titel „So können wir endlich wieder Gäste einladen“ in einer renommierten deutschen Zeitung. Obwohl in der Rubrik „Wohn-Knigge“ erschienen, waren wohl aktualitätsbezogen mehr Abstands- als Anstandsregeln zu lesen: Um die Distanz von Gast zu Gast zu wahren, sollte man zwischen den Gedecken kleine Buchsbäumchen oder Rosmarin aufstellen. – Ich setze lieber auf Hausverstand und Selbstverantwortung, denn auf Tafelhecken.
Als Tischkärtchen – so der Vorschlag – könnte man elegante, mit gestickten Monogrammen personalisierte Mund-Nasenmasken einsetzen, und den Gästen nach dem Dinner als Give away mitgeben. – Originell, elegant, kreativ, oder einfach nur eine nachhaltige Erinnerung an eine denkwürdige Zeit?
Ein Reststückchen von Susis Torte ist zwar absolut nicht so nachhaltig, wäre mir aber bei weitem lieber als monogrammierter Masken-Snobismus!
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