Johannas Fest: Der Zar als Karrierehelfer

Die Weinbergschnecken in Knoblauchsauce waren als Beleidigung gedacht, gerieten aber zur höchsten Gaumenfreude des Bekochten.
Johanna Zugmann

Johanna Zugmann

An sich hab ich nichts übrig für Kriecher und Schleimer. Schon gar nicht in unserem Garten, wo sie sich schon mehrfach als echte Kletterkünstler erwiesen haben. Einmal am Gipfel – unserem Hochbeet – angelangt, fallen sie gnadenlos über mein Basilikum her, bis auch der letzte Stängel kahl ist.

Sie auf dem Teller zu lieben, das hab’ ich in Paris gelernt: In einem Jugendstil-Restaurant der Seine-Metropole wagte ich in Begleitung eines Gourmets erstmals die Einverleibung dieser schleimigen Kreaturen, der Schnecken nämlich.

Von Schleim ist zumindest bei der Endverarbeitung keine Spur mehr zu sehen. Vor ihrer Anlieferung in Feinschmeckerlokale werden sie auf Diät gesetzt, verfallen in die schlafähnliche Trockenstarre, werden in siedendes Wasser geworfen, danach zehn Mal gewaschen, drei Stunden in einem Gemüsefond gekocht und zu guter Letzt schockgefrostet.

Esstrend-Forscher reihen die Kaltblüter schon in die Rubrik „Future Food“ ein: Die Kriechtiere punkten mit ihrem hohen Eiweißgehalt, Vitamin B, wertvollen Mineralien und Spurenelementen. Darüber hinaus ist dieses Essen nicht nur gesund, sondern auch ökologisch korrekt: Für die Investition von zwei Kilogramm pflanzlichen Futters winkt die Rendite von einem Kilogramm Schneckenfleisch.

Schon die alten Römer züchteten Schnecken.

Der Gourmet Marcus Gavius Apicius (1. Jh. v. Chr.), der das älteste erhaltene Kochbuch der Antike (De re coquinaria) verfasst hat, soll auch Schriften mit zahlreichen Rezepten und Zuchtvorschlägen für Schnecken hinterlassen haben.

Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts waren die Protein-Lieferanten in Wien so richtig „en vogue“: Galt die Knackwurst als „Beamtenforelle“, so wurde die Schnecke als „Auster des kleinen Mannes“ bezeichnet. Etwa in den 1970er-Jahren verschwand sie von den heimischen Speisekarten, vielleicht deshalb, weil ihr letzter Züchter für immer zusperrte. Dafür, dass sie jetzt in Österreich eine Renaissance erlebt, sorgt unter anderem ein vor zwölf Jahren gegründetes Unternehmen: Andreas Gugumuck züchtet seit 2008 die einheimische Weinbergschnecke Helix pomatia, die mediterrane Helix aspersa maxima und die kleine Petit Gris und bietet deren Eier sogar als Kaviar an. In der gehobenen heimischen Gastronomie fand er nicht nur interessierte Abnehmer, sondern auch Erfinder vieler neuer Rezepte.

Höfische Delikatesse

Im L’Escargot Montorgueil, in dem ich einst meine kulinarische Premiere mit den Schnecken genoss, ist das Kultrezept für deren Zubereitung seit 1832 unverändert. Allerdings bietet man in dem Restaurant in Les Halles neben dem Klassiker mit Knoblauch-Kräuterbutter auch Nobel-Varianten wie Burgunderschnecken mit Trüffel oder Gänseleber an.

Die Karriere der Kriechtiere vom „Arme Leute- Essen“ zur Delikatesse begann aber in der Donaumetropole. Marie-Antoine Carême (1784 bis 1833), der berühmte Leibkoch des damaligen französischen Außenministers Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord, kredenzte sie beim Wiener Kongress (1814 bis 1815) dem russischen Zaren Alexander I. Die Weinbergschnecken in Knoblauchsauce waren als Beleidigung gedacht, gerieten aber zur höchsten Gaumenfreude des Bekochten. Was sich nicht im Schneckentempo, sondern in Lauffeuer-Geschwindigkeit in den Adelskreisen herumsprach. Im Nu avancierte das Weichtier zum Fixstarter an Europas höfischen Tafeln.

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