Johannas Fest: Der Geschmack der Kindheit

Was wir essen, ist oft mit Erinnerungen verknüpft. Wenn ich gefüllte Kalbsbrust rieche, ist es sofort wieder da, das Gefühl der kindlichen Verzweiflung vor dem Teller, der nicht leerer werden wollte.
Johanna Zugmann

Johanna Zugmann

Zu den Lieblingsspeisen meines Mannes zählt gefüllte Kalbsbrust. Die findet sich kaum mehr auf den Speisekarten der Gasthäuser und daheim hat der Göttergatte trotz aller Liebe keine Chance darauf, dass ich sie ihm koche. Der Grund dafür liegt in einem Kindheitstrauma. Im Stubaital, wo mein Vater herkommt, habe ich während meiner Volksschulzeit alle Sommerferien verbracht. Ich war Gast bei Tante Miedl, die wie meine Mutter sechs Kinder hatte, aber ganz anders kochte. Während meine aus der französischen Schweiz stammende Mama meist Speisen „à la minute“ zubereitete, roch es in der Küche der Schwester meines Vaters schon vormittags immer nach Suppe und Gesottenem. Und anders als bei uns daheim mussten wir Kinder dort essen, was auf den Tisch kam; und zwar aufessen!

Das wurde mir einmal zum Verhängnis; konkret, als es gefüllte Kalbsbrust – im beginnenden Wirtschaftsaufschwung ein erschwinglicher Sonntagsbraten – gab. Mir war schon vom Geruch her leicht übel und ich brachte die zweifellos perfekt zubereitete Speise einfach nicht runter.

Was wir essen, ist oft mit Erinnerungen verknüpft. Wenn ich gefüllte Kalbsbrust rieche, ist es sofort wieder da, das Gefühl der kindlichen Verzweiflung vor dem Teller, der nicht leerer werden wollte, und des Brechreizes, das der Gehorsamkeitsübung folgte.

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